Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
für Per und Hein, die sie in Arbeit hatte. Weiße Fausthandschuhe mit kleinen schwarzen Rentieren darauf. Und auf der Innenseite des Handgelenks strickte sie die Namen der Jungen ein.
Das war gar keine Kunst; wenn es ein kurzer Name war, konnte man ihn ganz einstricken und nicht nur die Anfangsbuchstaben. In ihren eigenen Fausthandschuhen hatte sie »Anne« im linken und »Viken« im rechten Handschuh stehen. Aber dann durfte der Name nicht mehr als höchstens sechs Buchstaben haben.
»Jess« und »Daell« waren kurze Namen - so fiel ihr plötzlich ein.
Da wurde sie wieder rot, daß ihr die Wangen brannten. Sie legte das Strickzeug mit einer jähen Bewegung aus der Hand, stand auf, holte Feder und Papier und begann, einen Brief an die Mutter zu schreiben.
Der Samstag kam. Die Hausarbeit war in Windeseile erledigt worden. Anne hatte ihren neunorwegischen Aufsatz zurückbekommen, der ihr eine glatte Eins brachte. Studienrat Heier hatte gesagt, mit ihrer englischen Aussprache gehe es jetzt besser. Und - und heute abend sollte sie mit Jess in den Gymnasiastenbund gehen.
Sie holte ihr schottisches Kleid hervor, schaltete, während Aspedals zu Mittag schliefen, das Bügeleisen ein und dämpfte das Kleid. Alle Augenblicke schaute sie dabei auf die Uhr. Sie hatte nicht gewußt, daß man sich so sehr auf etwas freuen konnte.
So. Fertig! Jetzt begann die Familie drinnen sich zu rühren. Und dann klingelte das Telefon. Sie hörte, wie Frau Aspedal antwortete. Kurz daraufstand sie in der Tür.
»Du, Anne, du mußt heute abend bei den Kindern bleiben. Wir gehen aus.«
Anne warf Frau Aspedal einen Blick zu - fragend und ungläubig, aus einem Paar großer, blauschwarzer Augen. »Du kannst für jeden von euch ein Ei mit Zucker schlagen«, sagte Frau Aspedal. »Schau auf jeden Fall ab und zu nach ihnen! Du weißt, Hein strampelt sich so leicht bloß.«
»Ja«, sagte Anne und wandte sich jäh um. Sie wollte nicht, daß Frau Aspedal gerade jetzt ihr Gesicht sehen sollte.
Die Kinder waren im Bett. Anne hatte die kleine Lampe in der Wohnstube angezündet, die Vorhänge heruntergezogen und es sich so gemütlich wie möglich zu machen versucht. Aber es war nicht gemütlich. Es war nur leer - schrecklich leer.
Sie schluckte immer wieder den Kloß im Halse herunter, die schreckliche Enttäuschung. Und sie ging streng mit sich ins Gericht. Denn so konnte das nicht weitergehen. »Du hast das übernommen, Anne«, redete sie sich energisch ein. »Frau Aspedal ist in ihrem vollen Recht, wenn sie so etwas von dir verlangt. Dafür bekommst du Schulgeld, dafür wohnst und ißt du hier umsonst. Es ist der Preis, den du zahlst, um das Abitur machen zu können. Also - setz dich und lies! Oder strick die Fausthandschuhe fertig! Hörst du!«
Sie nahm das Strickzeug zur Hand, ließ es aber wieder sinken. Sie wußte, Frau Aspedal würde sich sehr über diese hübschen Handschuhe freuen. Aber im Augenblick hatte sie keine Lust, Frau Aspedal eine Freude zu machen.
Sehr still war es hier. Vielleicht war in der Wohnung unter ihnen auch niemand zu Haus. Oder in der Wohnung nebenan. Das ganze Haus wirkte wie ausgestorben.
Anne stand plötzlich auf und holte die Geige. Die hatte sie noch nicht ein einziges Mal angerührt, seit sie hierher gekommen war. Sie schlug das A auf dem Klavier an - auf dem hübschen kleinen Kammerinstrument, das hier immer nur dastand, ohne daß es je gespielt wurde - und stimmte.
Sie wußte, sie war allein und konnte sicher sein, daß niemand sie hörte. Fast feierlich setzte sie den Bogen an. Sie spielte das Menuett von Mozart, das sie daheim mit der Frau Pastor zusammen gespielt hatte.
Es war gut, wieder den Bogen zwischen den Fingern zu haben, und es war gut, Vaters Violine zu hören. Vater hätte sich gefreut, wenn er dies alles gewußt hätte, und besonders hätte er sich gefreut, daß sein »Bücherwurm« das Abitur machen wollte. Vater würde gutmütig gelächelt haben, über ihre Enttäuschung heute abend - über eine solche Kleinigkeit, so eine lächerliche Kleinigkeit.
Anne schluckte wieder an ihrem Kloß - da klingelte es plötzlich an der Wohnungstür. Sie legte die Geige und den Bogen aus der Hand und ging hinaus, um zu öffnen. Da fiel ihr ein, was Frau Aspedal immer sagte, und sie hakte die Sicherheitskette über, bevor sie die Tür einen Spalt weit öffnete.
»Aber, Anne, ich bin doch kein Einbrecher. Nimm ruhig die Kette ab!« Das war das letzte, was sie erwartet hatte - durch den Türspalt diese
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