Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
zurück.
Die Geige stellte sie in ihr Zimmer. Dann ging sie zu den Kindern hinein und deckte Hein zu, der sich bloßgestrampelt hatte.
Eine große Zärtlichkeit für die Kinder packte sie plötzlich.
Nach einer Weile kehrte sie wieder ins Wohnzimmer zurück. Sie wollte nicht zu Bett gehen, bevor nicht Aspedals nach Hause gekommen waren. So nahm sie denn das Strickzeug erneut zur Hand. Und als sie den Schlüssel in der Tür hörte und hinausging, um die Kette abzuhaken, war das eine Paar Handschuhe fertig.
Die Arbeit lohnt sich
Wieder meldete sich der Werktag mit seinen Forderungen. Und der Werktag hatte viele Forderungen an Anne zu stellen, er hatte viele Probleme, die gelöst werden mußten.
Frau Aspedal war nett und freundlich, das war es nicht. Aber sie konnte nicht übersehen, wie viel Anne zu tun hatte. Je mehr sie von ihr verlangte, desto früher stand Anne auf, desto verbissener arbeitete sie. Und da Frau Aspedal sah, daß ihr alles so schnell von der Hand ging, trug sie Anne immer noch mehr auf. Es war wie die Geschichte von der Alten und der Holzfuhre: »Wenn du das schaffst, dann schaffst du auch dies noch«, sagte die Alte zur Mähre und legte ein Holzscheit nach dem anderen auf die Fuhre, bis sie nicht mehr von der Stelle zu bewegen war.
Vorläufig konnte Anne die Fuhre noch ziehen. Aber viele freie Stunden hatte sie wahrlich nicht. Nun, sie war es nicht gewohnt zu klagen. Sie ging schweigend herum und tat ihre Arbeit. Aber das kleine heitere Lächeln, das im Anfang noch so fest auf ihrem Antlitz gelegen hatte, zeigte sich immer seltener.
Außerdem kamen jetzt noch mancherlei Sorgen hinzu, vor allem Sorgen um das Geld. Wenn sie sich nur die Haare schneiden lassen wollte, war das Geld, das sie dazu brauchte, schon für sie ein kleines Vermögen. Ein Paar Strümpfe kostete die Hälfte ihres monatlichen Taschengeldes. Zwar litt Anne nicht an übertriebener Eitelkeit, aber immerhin - auf die Dauer machte es keinen Spaß, die einzige in der Klasse zu sein, die keine seidenen Strümpfe trug. Und seidene Strümpfe sind teuer.
Hie und da war auch noch ein Schulbuch nötig, sie brauchte ein Fünfzigörestück für ein Schulkonzert, ein weiteres für ein Straßenbahnbillett - eins kam zum andern, und so war in Annes Portemonnaie immer Ebbe.
Müdigkeit und Sorgen zogen ihre Spuren. Es konnte geschehen, daß Anne ungeschickte Antworten gab, wenn sie in der Schule gefragt wurde, es konnte geschehen, daß sie verwirrt und hilflos vor dem Lehrer stand. Ein paarmal war sie in den Gymnasiastenbund gegangen. Aber viel Spaß hatte es nicht gemacht. Sie kam sich geradezu ein wenig gerupft vor, verglichen mit den anderen Mädchen. Das schottische Kleid, das sie so hübsch gefunden hatte, wirkte gar nicht mehr hübsch, wenn es neben den modernen, eleganten Kleidern der anderen auftrat.
Und mitten in alle diese Kümmernisse platzte nun auch die Sorge um die bevorstehende Weihnachtszensur. Wenn Aspedals sie nur nicht so beanspruchen würden!
Ein paar Tage vor der Prüfung, die jedem Zeugnis voranging, wollten Aspedals eine Gesellschaft geben. In der Küche wurde gekocht und gebraten, und Anne hatte alle Hände voll zu tun. Sie dachte mit Schrecken an ihre Schulaufgaben. Und allmählich begann eine kleine Bitterkeit in ihr hochzusteigen. Nicht etwa, daß sie nicht gern für das Bett und die Kost und das Schulgeld arbeitete. Wenn sie aber nur mit Sicherheit gewußt hätte, wieviel Arbeit ihr zugeschoben wurde! Wenn sie nur ein bestimmtes Maß gehabt hätte, nach dem sie sich richten konnte!
Sie brauchte unbedingt täglich ein paar Stunden für sich, um ihre Aufgaben zu schaffen. Sie hatte eine schriftliche Englischarbeit zu machen. Dazu kam noch eine französische Lektüre, an der sie sich die Zähne ausbeißen konnte. In Geschichte waren außerdem mehrere Seiten zu lernen. Mehrmals sah Anne auf die Uhr, während sie Gläser polierte und Geschirr hervorholte. Hoffentlich, dachte sie, hoffentlich kann ich bald an die Schularbeiten gehen!
»Bist du nervös, Anne?« fragte Frau Aspedal.
»Nein«, sagte Anne mit unheimlicher Ruhe. »Ich dachte nur an meine Schulaufgaben.«
»Ach, die Schulaufgaben.« Nun wurde Frau Aspedal nervös. »Ja, ich weiß. Aber du bist eine so gute Schülerin, Anne! Da macht es doch nichts, wenn es ausnahmsweise mal. Ich kann dir ja eine Entschuldigung schreiben, daß du heute nicht zu Hause hast arbeiten können.«
»Danke. Aber damit habe ich ja die Englischaufgabe noch nicht gelernt«,
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