Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
gestrickt?« fragte sie interessiert. »Woher haben Sie dies Muster bekommen, Fräulein?«
»Von meiner Großmutter. Und die hat es wieder von ihrer Mutter gelernt.«
»Wollen Sie die Jacke verkaufen?«
»Ja. Und ich wollte fragen, ob ich nicht Fäustlinge und Handschuhe für Sie stricken könnte. Ich stricke schnell und ich habe hübsche Muster.«
Die Inhaberin sah sich die Kinderfäustlinge an. »Darf ich sie ein paar Tage zur Probe dabehalten? Und können Sie kurzfristig auf Bestellung Fausthandschuhe mit Namen stricken?«
»Ja, das kann ich.«
»Die Jacke will ich Ihnen gern abkaufen, wenn wir uns über den Preis einig werden können.«
Sie wurden sich einig. Allerdings brachte der Handel keinen Hunderter ein, wie Anne sich’s erträumt hatte. Dies sei ja keine große Herrenjacke, erklärte die Ladenbesitzerin. Und das Geschäft müsse auch ein bißchen verdienen. Aber siebzig Kronen -? Anne nickte und nahm das Geld mit klopfendem Herzen und zitternden Fingern in Empfang.
Einige Tage später läutete bei Aspedals das Telefon. Anne wurde gebeten, so bald wie möglich in die »Modellstrickerei« zu kommen -so hieß der Laden, in dem sie die Jacke verkauft hatte.
Der Gang trug ihr eine Bestellung auf zehn Paar Fäustlinge mit eingestricktem Namen ein. Sie sollten bis Weihnachten fertig sein. Da es sich um originelle Muster handelte, wollte die Ladeninhaberin für das Paar sieben Kronen bieten. Nur fürs Stricken natürlich. Das Geschäft lieferte das Garn.
Zehn Paar Fausthandschuhe - ein Kinderspiel für Anne! Dies Muster konnte sie im Schlaf stricken mit geschlossenen Augen. Sie strickte, daß die Nadeln wie Trommelstöcke flogen, während sie ihre Aufgaben machte.
Frau Aspedal beobachtete sie. »Du bist die reine Maschine, Anne«, sagte sie erstaunt. »Sonderbar, daß du auf diese komische Weise stricken kannst - mit dem Faden überm rechten Zeigefinger. Ich habe es im Ausland auch gesehen und ich finde, es sieht so verdreht aus.«
Anne lachte leise auf. »Es ist sehr praktisch, wenn man SchwarzWeißmuster stricken will«, erklärte sie. »Wenn man über jedem Zeigefinger einen Faden hat, dann verheddern sie sich nicht. Und dann wird die Strickerei ganz gleichmäßig.«
Handschuh auf Handschuh wurde fertig. Eine Freundin von Frau Aspedal schaute herein und begeisterte sich für die Strickerei. Sofort bestellte sie bei Anne eine Jacke - sie brauchte nicht vor Januar zum Geburtstag ihres Jungen fertig zu sein. In der Stadt gab es solche Jacken; aber sie waren teuer und nicht annähernd so hübsch im Muster wie Annes Strickerei. Ob Anne auch die Wolle liefern könne?
Das konnte Anne. Sie zeigte die Wolle vom Möwenfjordhof voll Stolz vor. Niemand vermochte so zu spinnen wie ihre Mutter. Frau Aspedals Freundin bot hundert Kronen für die Jacke - die Hälfte sofort, die andere Hälfte nach Fertigstellung. Und Anne war nach diesem Auftrag so glücklich, daß sie am liebsten laut gesungen hätte!
Ein Paar Handschuhe für Jess
»Hör mal, Anne.« Frau Aspedals Stimme klang zögernd. Es schien, als wolle sie etwas sagen, was ihr schwerfiel.
»Ja?« Anne schaute von ihrer Strickarbeit auf.
»Wir werden.« Frau Aspedal gab sich einen Ruck. »Wir werden Weihnachten verreisen. Meine Eltern haben uns eingeladen. Und darum wollte ich dich fragen.« Sie schaute unwillkürlich auf Annes klappernde Stricknadeln. ». ich möchte natürlich nicht, daß du am Weihnachtsabend allein bist. Und da habe ich gedacht - wenn du Lust hast, dann kannst du zu Mortensens gehen. Sie lassen dir bestellen, du seiest herzlich willkommen.«
Frau Mortensen war die Dame, die bei Anne die Jacke bestellt hatte. Eine nette Frau, gewiß. Aber irgend etwas in Anne lehnte sich gegen dieses Angebot auf. Sie wollte nicht aus Mitleid eingeladen werden, wollte nicht ein überflüssiger Gast bei Leuten sein, die sie kaum kannte. Sie würde schon allein zurechtkommen.
Zum ersten Male in ihrem Leben nahm Anne jetzt Zuflucht zu einer Lüge. Sie mußte es tun, um ihren Stolz zu wahren: »Tausend Dank, Frau Aspedal. Aber ich bin schon am Heiligabend eingeladen. Bei einem Klassenkameraden.«
»Das ist aber nett für dich, Anne!« rief Frau Aspedal und fügte hinzu: »Ich weiß ja, daß ich mich auf dich verlassen kann. Wenn du also Lust hast, in der Weihnachtszeit mal ein paar Freundinnen einzuladen, so darfst du das gern tun. Sonst wird es doch ein bißchen einsam für dich werden.«
Einsam! Anne biß die Zähne zusammen, um nicht laut
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