Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
aufzulachen. Man stelle sich das vor! Einsam - das hieß: sie würde eine Reihe von Tagen ganz für sich allein haben, sie würde aus Herzenslust stricken und alle Bestellungen erledigen können! - Ja, Anne hatte genug zu tun. Sie fühlte sich nicht einsam. Die »Modellstrickerei« wollte gern noch mehr Fausthandschuhe von ihr haben, auch nach dem Weihnachtsfest. Und dann war ja auch noch die Jacke für Frau Mortensen fertigzustellen.
Da mußte sie eben über den Heiligabend hinwegzukommen suchen, so gut es ging. Jedenfalls würde sie die Einsamkeit dem Mitleid tausendmal vorziehen! Sie brauchte nur an all das zu denken, was es hier an Freuden für sie gab. Da war ein Weihnachtspaket zu packen und nach Hause zu schicken, mit Geschenken, die sie von ihrem eigenen Geld gekauft hatte. Dawar die Weihnachtsprüfung in der Schule, die so gut ausgegangen war. Und vielleicht - vielleicht konnte sie sogar mit auf den Schulball gehen, Anfang Januar. Wenn sie in der Weihnachtszeit nur strickte wie nie zuvor, dann mußte es doch gelingen, etwas Geld für ein Kleid zusammenzukratzen. Vielleicht.
Drei Tage vor Heiligabend reisten Aspedals ab. Anne half beim Packen und brachte sie an die Bahn. Und als der Zug aus der Halle rollte, empfand sie eine große und köstliche Erleichterung.
Keine Schulaufgaben, keine Hausarbeit. Frei wie ein Vogel war sie jetzt! Aber die »Modellstrickerei« wartete auf die letzten Fausthandschuhe. Also nahm Anne die Straßenbahn, fuhr nach Hause und stellte das Radio an. Und die Nadeln gingen lustig im Takt mit der Musik.
Am nächsten Tag eilte sie zur »Modellstrickerei«. Sie verließ das Geschäft mit blanken Augen, die Tasche voller Geld. Und mit einer Bestellung auf zwei neue Kinderjacken.
Als sie aus der Ladentür trat, stieß sie beinahe mit einer großen Gestalt zusammen.
»Hallo, bist du es, Anne?« rief Jess. »Du strahlst ja so! Hast du Weihnachtsgeschenke eingekauft? «
»Nein, verkauft«, sagte Anne ruhig.
»Verkauft?« Jess glaubte, er habe sich verhört.
»Ja. Ich stricke für dies Geschäft. Solche Dinger da.« Und sie zeigte auf ein Paar Fäustlinge, die im Fenster ausgelegt waren, mit einem Schild dabei, auf dem geschrieben stand, daß man hier Fausthandschuhe bestellen könne, mit eingestricktem Monogramm oder vollem Namen.
Jess starrte sie mit offenem Munde an. »Bist du es, die diese. dies da macht?« Dann unterbrach er sich und packte sie am Arm.
»Komm, Anne. Jetzt gehen wir erst mal los und essen Torte. Und dann muß ich was Geschäftliches mit dir besprechen.«
Bald darauf saßen die beiden in einer Konditorei. Anne thronte stolz auf einem Fensterplatz, vor sich eine Tasse Schokolade und einen Teller voll Kuchen. Es war das erstemal in ihrem Leben, daß sie eine richtige Konditorei kennenlernte.
»Du bist ein merkwürdiges Mädel«, sagte Jess und schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt: Ich weiß immer noch nicht, was eigentlich mit dir los ist, heute strahlst du förmlich. Hast du das Große Los gewonnen?«
»Aber nicht doch! Nur Geld verdient.« Geld verdient. Jess schaute sie immer noch erstaunt an. »Sag mal, wie findest du bloß Zeit für das alles?«
»Och«, sagte Anne leichthin. »Das mit dem Stricken ist eigentlich keine richtige Arbeit. Bei uns zu Hause stricken wir ständig - wenn wir lesen und wenn wir Radio hören. Als ich noch klein war und mit den Schafen in die Berge ging, habe ich unterwegs auch immer gestrickt.«
»Aber es braucht doch seine Zeit.«
»Nicht soviel, wie du glaubst, Jess. Es geht rasch. Und außerdem habe ich jetzt frei. Aspedals sind verreist.«
»Verreist? Und sie lassen dich Weihnachten allein zu Hause?«
»Ja, zum Glück. Ich freue mich schrecklich darauf, endlich mal Ruhe zu haben. Sie kommen erst nach Neujahr wieder zurück.«
Jess schwieg und sah sie an. Nach einer langen Pause sagte er: »Du bist wahrhaftig sonderbar, Anne. Hart wie der Fels.«
». und mit kleinen Blumen darauf«, lächelte Anne. »Das hast du schon das letztemal gesagt.«
»Wirklich? Ja, es stimmt auch.« Etwas verlegen fuhr er fort: »Paß mal auf, Anne. Ich wollte meiner Mutter so ein Paar Fausthandschuhe zu Weihnachten schenken. Darum stand ich da vor dem Schaufenster und guckte sie mir an. Aber jetzt kann ich sie ja ebensogut bei dir kaufen - wenn du welche fertig liegen hast.«
»Nein, das nicht«, sagte Anne schnell. »Aber ich werde ein Paar für deine Mutter stricken.«
»Bist du verrückt? Wie willst du das schaffen? Übermorgen ist
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