Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
voran. Der Zug geht um sechzehn Uhr. Du hast dich um vierzehn Uhr dreißig hier einzufinden - gleich von der Schule! Dein Gepäck wird am Abend vorher hierhergebracht. Besitzt du Skier?«
Anne schluckte und schluckte. Und weil sie eine solche Mühe damit hatte, den Klumpen in ihrem Hals herunterzuschlucken, mußte sie sich darauf beschränken, so wenig wie möglich zu sagen. »Ja. Zu Hause«, sagte sie. »Dann schreib auf der Stelle und laß sie dir schicken! Sie können gleich hier zu uns gesandt werden. Jetzt bin ich es, der zu sagen hat, und ich dulde keinen Widerspruch!«
»Aber, Herr Daell, ich weiß nicht.«
»Hast du gehört, was ich gesagt habe? Oder soll ich es dir mit dem Geigenbogen ins Köpfchen klopfen?«
Seine barsche Stimme stand in entschiedenem Widerspruch zu dem listigen Lächeln und den frohen, herzensguten Augen.
»Ich. ich bin ja nur. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Herr Kapell. Herr Daell. «
»Kapell! Daell!« brummte er. »Kannst du denn zum Kuckuck nicht Onkel Herluf zu mir sagen?« Er lachte dröhnend über ihr verblüfftes Gesicht und breitete seine Arme aus. Und im nächsten Augenblick hatte er Anne am Halse hängen, und ein paar blanke Tränen fielen auf die alte graue Hausjacke.
Glückliche Tage im Gebirge
Es schien fast, als sei Frau Aspedal ein wenig freundlicher geworden. Sie hörte, daß Anne mit Frau Kapellmeister Daell ins Gebirge eingeladen worden war und zeigte tatsächlich ein wenig Interesse dafür. Sie schenkte Anne sogar einen richtigen Pyjama und einen Bademantel. »Denn du mußt doch in einem so großen Hotel Tag wie Nacht anständig aussehen!«
Anne nahm nicht gern Geschenke von Frau Aspedal an, aber sie sagte sich, daß es im Grunde doch gut gemeint war. Und deshalb freute sie sich. Hinzu kam noch, daß sie beide Dinge sehr dringend brauchte.
Auf der Fahrt erlebte sie einen überfüllten Osterzug und richtige Osterstimmung. Das Abteil war vollgestopft mit jungen Menschen. Alle machten sich miteinander bekannt, kaum daß zehn Minuten verronnen waren. Und Eva Daell war die munterste von allen. Anne beobachtete Jess. Er saß da und lächelte - und war unverkennbar stolz auf seine Mutter.
Anne war an Überraschungen gewöhnt. Das letzte halbe Jahr war ja eine zusammenhängende Kette von Überraschungen für sie gewesen. Sie verlor also nicht den Kopf, als sie in die große, schöne Hotelhalle trat. Und sie genoß mit alle Sinnen die Umgebung, die Schneehöhen draußen und die Eleganz drinnen. Hell begeistert war sie über das schöne Zimmer, das sie mit »Tante Eva« - die übrigens nach und nach immer öfter zu einer »Eva« wurde - teilen sollte.
»Du weißt ja, wir hatten schon die Zimmer bestellt«, erklärte Eva. »Die einzige Möglichkeit, dich noch mit hineinzunehmen, war, daß wir ein Feldbett hier in mein Zimmer stellen ließen. Aber wir werden uns wohl vertragen, ohne einander zu beißen. Glaubst du nicht?«
Anne glaubte es. Wenn sie sich mit einem Menschen gut vertrug, dann mit Eva Daell. Abgesehen von Jess - natürlich.
Nun begann für sie eine märchenhafte Woche. Sie wurde mit schönstem Essen gefüttert, sie wanderte mit Jess auf Skiern hinaus in die Berge, sie lernte mit ihm alles, was nötig war, um auf den Brettern zu stehen und zu fahren. »Und du willst eine Vertreterin der Ski-Nation Norwegen sein?« rief Jess, als Anne zum neunten Male an ein und demselben Vormittag den Abhang hinunterkullerte. »Ich bin die Vertreterin des schneelosen und regnerischen Westlandes, du Wichtigtuer!« entgegnete Anne, nachdem sie einige Klumpen Schnee aus den Ärmeln geschüttelt und das Gesicht abgetrocknet hatte. Sie lachte hinter ihrer Sonnenbrille.
Nach dem Essen saß sie gut eingepackt mit Eva an der Sonnenwand und ließ sich bescheinen, damit ihr blasses Gesicht etwas Farbe bekam.
Sie genoß die Mahlzeiten. Nie hätte sie es sich träumen lassen, daß es so viel gutes Essen in der Welt gäbe. Und was sie für einen Appetit hatte! Es war nur gut, daß sie nicht länger als neun Tage hier blieb, denn wenn sie weiter so viel in sich hineinstopfte, würde sie vielleicht die Kleider sprengen.
Aber vorläufig war sie noch schlank. Und ein paar Tage Sonne und Skilauf hatten ihrem Gesicht eine frische Farbe verliehen. Diese junge Frische ließ vergessen, daß ihre Skihosen ungeschickt und selbstgenäht wirkten und daß ihre Skier mitten in diesem Gewirr von Stahlkanten und Kandahars wahrlich altmodisch aussahen. Und wenn Anne abends die Spitzenbluse und
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