Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
darüber Gedanken machen konnte, daß es unrecht war, aus Pers treuherzigem Gerede Vorteil zu ziehen, entschlüpfte ihr schon eine Frage: »Und was sagt Mutti denn?«
»Mutti sagt, daß. daß es so bleiben müsse, wie es ist. Ja, genau das hat Mutti gesagt.«
Anne runzelte die Brauen und überlegte. Und als Per später noch ein paar kleine Bemerkungen fallen ließ, begann ihr der Zusammenhang aufzugehen. Frau Aspedals Mutter hatte ihrer Tochter energisch gesagt, daß man sehr gut nur gegen Kost und Logis eine Haushalthilfe für ein paar Stunden am Tage bekommen könne. Es sei sinnlos, einem Hausmädchen außerdem noch das Schulgeld zu zahlen. Dabei könne nichts Gutes herauskommen. So ein Mädchen hatte natürlich nie Zeit für die Hausarbeit. Direktor Aspedal hatte geantwortet, man müsse auch daran denken, daß Anne ein begabtes junges Mädchen sei, dem geholfen werden müßte. Da aber war die Großmutter hochgefahren und hatte gesagt, jeder sei sich selbst der Nächste; Gerda habe schließlich zwei kleine Kinder und müsse vor allen Dingen eine Hilfe haben, mit der ihr gedient sei.
Viel von dem allen erriet Anne nur aus Pers Geplapper. Aber sie fühlte instinktiv, daß das Gespräch ungefähr so geführt worden war. Und das tat ihr bitter weh. Sie mühte sich jetzt noch eifriger ab als vorher. Und wäre Frau Aspedal nicht so sehr von sich selbst in Anspruch genommen, so hätte sie merken müssen, wie viel mehr Arbeit Anne seit ihrer Rückkehr leistete.
Anne litt sehr unter der gedrückten Stimmung. Der Direktor sprach Anne zwar gut zu, schien sich für sie einzusetzen und versuchte ab und zu auch krampfhaft, eine muntere Bemerkung zu machen. Aber das fand keinerlei Widerhall. Völlig unmöglich schien es Anne jetzt, ihre Bitte um einen festen freien Tag anzubringen. Aber drei Tage vor dem Schulball wagte sie sich doch vor und fragte mit leiser Stimme, ob es wohl einzurichten wäre, daß sie am Sonnabend ausginge. »Geh du ruhig«, meinte Frau Aspedal mürrisch. »Ich fühle mich ohnehin nicht wohl. Ich kann ebensogut zu Hause bleiben.«
»Hatten Sie denn vor, am Sonnabend fortzugehen?« fragte Anne erschrocken.
»Ach, das hat nichts zu bedeuten.« Frau Aspedal tat, als sei sie beleidigt. »Fehlte ja auch, daß ich dich daran hindern sollte, auf den Ball zu gehen! Das würde ich noch drei Monate hinterher zu hören bekommen!«
Anne wußte, daß die letzten Worte nicht auf sie gemünzt waren, sondern auf ihren Mann, auf Direktor Aspedal. Trotzdem gossen sie eine kräftige Dosis Wermut in den Becher ihrer Freude.
Als sie sich aber zum Ball umzog und vorm Spiegel sah, wie gut die Bluse und der Rock saßen, bekam die Freude doch wieder die Oberhand. Sie ging ein wenig schüchtern in die Küche hinaus, wo Frau Aspedal stand und Butterbrote für die Kinder strich.
»Ich. ich wollte Ihnen nur zeigen, wie hübsch die Bluse aussieht«, sagte Anne. »Ich freue mich so darüber.«
»Na, das ist ja gut«, entgegnete Frau Aspedal knapp und kühl. Sie warf einen prüfenden Blick auf Anne. »Ja, sie steht dir. Und der Rock paßt auch.«
»Ja, nicht wahr? Und schauen Sie: Richtig schlank bin ich geworden«, rief Anne erfreut. Sie war dankbar für das bißchen Interesse, das Frau Aspedal ihr entgegenbrachte.
»Ach«, entfuhr es Frau Aspedal, »ich soll wohl auch daran schuld sein, daß du in meinem Hause dünn geworden bist!« Ihre Stimme klang so erregt, wie Anne sie noch nie gehört hatte.
»Jetzt ist es aber genug, Gerda!« Heß sich plötzlich die zornige Stimme des Direktors vernehmen. Er hatte die letzte Bemerkung seiner Frau gehört und stand nun in der Tür, bereit zu einer Auseinandersetzung.
»Was verlangst du denn von mir?« schrie Frau Aspedal. »Immer nur soll ich Rücksicht auf das Fräulein Gymnasiastin nehmen! Ich hab’ das satt. «
Anne ergriff die Flucht. Hastig warf sie den Mantel über und knallte die Tür hinter sich zu. Sie nagte an ihren Lippen, die Tränen wollten ihr kommen. Draußen vor der Wohnungstür preßte sie sich fest gegen die Wand und versuchte, sich wieder zu beherrschen. Und so fand Jess sie.
»Aber, Anne, was ist denn los?« Er zog sie in den Aufzug und betrachtete prüfend ihr zuckendes Gesicht. Dann drückte er energisch auf den Halteknopf. Der Aufzug blieb zwischen dem vierten und dritten Stock stehen, so daß die Leute, die in den anderen Stockwerken warteten, ungeduldig gegen die Aufzugtüren hämmerten. Aber Jess holte erst einmal sein Taschentuch heraus und trocknete
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