Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
Frühstücksbretter immer mit dem Aufzug nach oben geschickt.
»Ach, nur so.«, antwortete Anne ausweichend. Sie wollte nichts von dem Leckerbissen erzählen, den sie sich für Pettie erbettelt hatte und der diskret hinter der Kaffeekanne versteckt lag, in eine Papierserviette gewickelt.
Fräulein Tvilde war an diesem Morgen redselig, und es war für Anne nicht ganz einfach, wieder davonzuschlüpfen. Das Fräulein erzählte von Pettie, der auf einer Ausstellung gewesen und dann in die Zeitung gekommen war. »Ziehen Sie die Schreibtischschublade heraus, Fräulein Viken! Da liegt der Ausschnitt!«
Anne zog die Schublade heraus. Nein, da war kein Ausschnitt. »Bestimmt ist er da.« Fräulein Tvilde trippelte in ihrem Pyjama zum Schreibtisch hinüber. »Ich weiß, daß ich den Ausschnitt gestern hier hineingelegt habe.« Sie kramte in der Schublade herum.
Plötzlich schlug Annes Herz laut. Aber sie beherrschte sich, und ihre Stimme war ruhig, als sie sagte: »Vielleicht hat er sich festgehakt. Das ist schon einmal mit dieser Schublade passiert. Ganz drinnen links.«
»Natürlich - da ist er ja.« Fräulein Tvilde zog ihn heraus. »Hier schauen Sie her.« Sie unterbrach sich und blickte auf Anne. »Aber, Fräulein Viken, was ist denn?« Anne hatte plötzlich viel zu tun, um sich mit dem Schürzenzipfel die Tränen zu trocknen.
Fräulein Tvilde vergaß sowohl den Ausschnitt als auch den Morgenkaffee. Sie zog Anne neben sich auf den Diwan hinunter. »Liebes Kind, was ist denn los? Kann ich etwas für Sie tun?« Ihre Stimme klang mit einem Male so warm und mütterlich, und Anne wurde für einen Augenblick an Eva erinnert.
Sie schluckte krampfhaft. »Ja:«, sagte sie, »Sie können schrecklich viel für mich tun. Sie sind die einzige, die etwas für mich tun kann.«
Und dann erzählte Anne die Geschichte mit Frau Sönderbye. Ein paarmal wurde sie von Fräulein Tvildes »Oh, was für ein altes Biest!« oder »Nein, ausgerechnet Sie zu verdächtigen!« unterbrochen.
»Und jetzt«, schloß Anne, »möchte ich Sie bitten, der Hausdame genau zu erzählen, wie Sie den Zeitungsausschnitt gefunden haben. Erzählen Sie bitte auch, daß ich nicht im Zimmer gewesen bin, seit Sie den Ausschnitt in die Schublade gelegt haben - daß Sie die ganze Zeit hier im Zimmer waren, und daß ich keinerlei Möglichkeit gehabt habe, diese Sache zu arrangieren. Wollen Sie mir diesen großen Gefallen tun?«
»Darauf können Sie Gift nehmen!« rief Fräulein Tvilde mit entschlossener Stimme. Ihre Füße schlüpften unverzüglich in ein Paar pelzgeränderte Pantoffeln, sie zog das Morgenkleid über und fuhr sich eilig mit einem Kamm durch das kurzgeschnittene Haar.
»Aber es eilt doch nicht so!« rief Anne. »Sie müssen doch erst frühstücken!«
»Und ob es eilt!« sagte Fräulein Tvilde kurz. »Soll denn dieser Verdacht auch nur eine Sekunde länger als notwendig auf Ihnen sitzenbleiben? Und wenn es mich auch meinen guten Ruf kosten sollte - ich schwebe jetzt im Neglige runter zu Ihrer Hausdame! Basta!«
»Fräulein Viken«, sagte Frau Legard kurz darauf zu Anne, »kommen Sie doch bitte mal ins Büro hinüber.« Anne kam sofort. Frau Legard gab ihr die Hand.
»Ich - möchte Sie um Entschuldigung bitten«, sagte sie. »Ich hätte wissen müssen, daß Sie so etwas nie hätten tun können. Aber Sie verstehen vielleicht, wie schwierig meine Lage war.«
»Ja«, sagte Anne einfach, »das verstehe ich.«
»Ich habe ein paar Worte an Frau Sönderbye geschrieben. Ich möchte gern, daß Sie sie lesen sollen.« Sie reichte Anne einen Briefbogen, und Anne las die wenigen Zeilen und reichte Frau Legard den Bogen zurück.
»Vielen Dank, Frau Legard.« Einige Tage später wurde sie wieder ins Büro gerufen. Mit einem Lächeln reichte Frau Legard ihr einen Brief. Er enthielt ein paar Zeilen von Frau Sönderbye des Inhalts, sie freue sich, zu hören, daß die Geschichte mit dem Briefumschlag ihre Erklärung gefunden habe. Leider habe sie in der Eile vergessen, dem Zimmermädchen Trinkgeld zu geben. Sie wollte es hiermit nachholen und bitte die Hotelleitung, dem Mädchen die beiliegenden fünfundzwanzig Kronen auszuhändigen.
Selten noch hatte Anne eine so große Genugtuung empfunden wie in dem Augenblick, als sie die fünfundzwanzig Kronen zurückschickte und mit ein paar höflichen Worten erklärte, sie habe ihren festen Lohn im Hotel und erinnere sich nicht, der gnädigen Frau einen Sonderdienst geleistet zu haben, der sie dazu berechtige, eine
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