Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
sie kein Wort. Ihre Hände lagen reglos im Schoß ihres neuen, seidenen Kleides, das Eva ihr genäht hatte. Die Hände mit den beiden Ringen von Jess, dem Aquamarin an der linken und dem glatten Reif an der rechten Hand -
Jetzt entstand auf dem Podium eine kleine Unruhe - Jess kam heraus. Groß und dunkelhaarig und schön, zum ersten Mal in seinem Leben im Frack und weißer Binde.
Er dankte mit einer lässigen Verbeugung für den Beifall, der ihm als Begrüßung gezollt wurde. Er setzte sich, und für den Bruchteil einer Sekunde suchten seine Augen ein helles Mädchengesicht in der ersten Reihe.
In seinen Mundwinkeln saß ein winzigkleines Lächeln, als er mit dem Dirigenten einen Blick tauschte.
Der hob den Taktstock - und dann.
Anne stand das Herz still. Ungezählte Male hatte sie Jess dies spielen hören. Stundenlang hatte er geübt. Anne kannte jeden Ton.
Aber nun war es etwas ganz Anderes. Das riesengroße, gut eingespielte Orchester, das Jess und dem Dirigenten geschmeidig und willig folgte, das Zusammenspiel von Klavier und Orchester. Es benahm ihr den Atem.
Nicht ein Ton ging an ihrem Ohr vorüber. Sie fing jede Schattierung auf. Jetzt kam das feine, behutsame Pianissimo, jetzt ein inniges Wechselspiel zwischen Klavier und Bläsern - und dann plötzlich setzte Jess zu dem jubelnden Fortissimo an.
Vielstimmig sang das Orchester das gefällige Motiv; es wechselte, wurde klar und kühn, fast angreiferisch.
Das Orchester schwieg. Die Kadenz löste es ab. Jetzt hatte Jess allein das Wort. Annes Augen hingen an ihm, hingen an seinen geschmeidigen Händen, an dem Gesicht, das sie liebte. Und in einem bebenden, andächtigen Augenblick kam es ihr schwindelnd klar zum Bewußtsein, daß dieser Mann, dieser Künstler, ihr gehörte. Alles, was an Inspiration, an gottbegnadeter Begabung in ihm lebte - das gehörte ihr - denn ihr gehörte Jess.
Jetzt kam der Schluß des ersten Satzes. Das Klavier perlte und trillerte. Jetzt fiel das Orchester in dies klingende Perlen ein, und der Satz endete mit einem mächtigen, volltönenden Akkord.
Im Saal war es still, ganz still. Das Publikum atmete kaum. Anne fühlte Onkel Herlufs Hand, die sich auf ihre gelegt hatte. Sie tauschten einen wortlosen Händedruck.
Dann kam der ruhigere, singende, melodiöse zweite Satz. Jess spielte so sicher, war so ganz mit der Komposition verschmolzen, war so - ja, er sah so glücklich aus, während er den reinen Harmonien in seinem Gemüt Ausdruck verlieh.
Dann schwoll die Musik an, wurde voller und reicher. Das Klavier sprang kühn mitten durch das Orchester - es nahm zu an Kraft, immer mehr, erfüllte den Saal - und der Satz schloß wie eine jubelnde Fanfare.
Die Spannung löste sich jetzt. Anne wußte, daß Jess sich durchgesetzt hatte. Sie wußte es, denn sie war musikalisch, und sie liebte Jess, und seine Gefühle lebten in ihr. Aber sie merkte es auch an den Händen von Onkel Herluf und Eva, die die ihren preßten.
Dann folgte der dritte Satz mit seinem unerbittlichen Anspruch an die Technik. Jess stürzte sich hinein. Es hörte sich an, als bewältigte er es spielend leicht. Seine Hände waren ihm ein gehorsames Werkzeug, die bereitwillig alles aussagten, was in Jess vorging - und was in dem Komponisten vorgegangen war.
Der letzte, volle, jubelnde Akkord verklang. Dann folgte eine sekundenlange, atemlose Stille.
Und nun brach der Jubel los.
Anne wußte nicht mehr, wie es zugegangen war, daß sie plötzlich im Künstlerzimmer stand. Da waren viele Menschen, Leute, die sie nicht kannte. Da waren lachende Gesichter, heitere Gesichter - sie flossen vor ihren Augen zu einem Nebel zusammen.
Aus dem Saal ertönte ein Brausen, das jubelnde Beifallsbrausen -es schwoll zu ohrenbetäubendem Lärm an, sowie Jess sich wieder auf dem Podium sehen ließ.
Endlich, endlich wurde es still.
Jess kam nach hinten. Eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn, sein Kragen lag naß und zerknittert um seinen Hals. In den Armen hielt er riesige Blumensträuße.
Er ließ sie alle fallen, breitete die Arme aus, und Anne stürzte hinein. Beide merkten nicht, wie ein geistesgegenwärtiger Journalist die Leica ans Auge riß und sie knipste. „Anne - Annemädchen.“ in seinem grenzenlosen Glück drückte Jess sie fest an sich, dies war ja ihr Glück, ihr Erfolg, und sie konnten in diesem Augenblick einander nicht nahe genug sein.
Stolze, glückliche Eltern. Kollegen, die mit dem Lob nicht sparten. Lächelnde Kritiker.
Zu Hause ein Fest. Viele Menschen,
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