Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
Reden, Sekt. Anne war es noch nie so wirbelig im Kopf gewesen. „Anne!“ sagte Jess. Er hob ihr sein Sektglas entgegen.
Sie tat ihm Bescheid.
„Jess!“
Sie tranken, und seine Lippen bildeten Worte ohne Laut. Worte, die nur Anne verstand: „Ich liebe dich.“
Daheim auf Möwenfjord erhob sich Mutter Kristina in diesem Augenblick schwerfällig von ihrer Bank vor dem Webstuhl. Was sollte das! Es hatte keinen Sinn, so lange aufzubleiben.
Liv trat in die Tür. Schwer und reich war Liv, sie trug ihr zweites Kind unterm Herzen. „Willst du nicht schlafen gehen, Mutter Kristina?“
„Doch, ich gehe jetzt. Ich hab gerade dagesessen und gedacht, Liv, wie gut es ist, daß Anne nach Haus kommt, wenn Schecke kalben soll.“
Annes große Bewährungsprobe
Anne schob den Melkschemel beiseite, stand auf und goß die Milch durch das Sieb. Dann hob sie den Schaum ab und tat ihn in Maunz’ Schale, nahm einen Eimer in jede Hand und ging hinein. Auf den Vorplatzsteinen streifte sie die Holzschuhe ab.
In der Küche war es warm. Liv holte gerade die Brote aus dem Ofen.
„Du mußt mir heute abend wohl ein bißchen Kaffee hinstellen, Liv. Es scheint so, als sollte es heute nacht mit Schecke losgehen, ich will lieber aufbleiben.“
Liv lächelte. „Das hier ist für dich jetzt eine andere Kost, Anne.“
„Das kann man wohl sagen.“
Anne sagte nichts weiter. Sie wußte selber nicht, daß die alte Einsilbigkeit wieder von ihr Besitz ergriffen hatte. Sie sprudelte nicht mehr so, wie wenn sie mit Jess zusammen war, und überhaupt in Gesellschaft der lebhafteren Stadtmenschen.
Sie ging still und schlicht umher und versah ihr Tagewerk. Die Außenarbeit war ihr Bereich. Da gab es genug zu tun. Kühe und Schweine schrien nach Futter. Stall und Schweinekoben sollten ausgemistet, die Hühner versorgt, die Kühe morgens und abends gemolken, die Milchkannen mit Sand ausgescheuert werden. Sie mußte Holz hacken und Kartoffeln auslesen - o nein, sie brauchte nicht zu fürchten, plötzlich arbeitslos zu sein.
Sie tat ihre Pflicht, schweigend und treu. Von Kopenhagen hatte sie berichtet, von dem Konzert und vom Frühjahr in der Stadt, der Zeit bei Großmama. Sie war ausgefragt worden und hatte geantwortet, und als alles erzählt war, da schwiegen sie wieder. Schwiegen in einer guten, vertrauten Art.
Die Tage gingen dahin. Von einem Posttag zum andern. Jeden Freitag kam ein Brief von Jess, und an diesen Tagen nahm Anne das kleine Boot mit dem Außenbordmotor und fuhr ins Dorf. Dann ging sie gleich mit zum Krämer heran und kaufte ein, was für die Woche nötig war.
Als sie eines Tages nach Haus kam und bemerkte, daß sie vergessen hatte, Kaffee mitzubringen, mußte sie lächeln, so ärgerlich es auch war. Ja, so war es, wenn man so lange in der Stadt gelebt hatte! Sie mußte sich erst wieder an Möwenfjord gewöhnen. Hier hieß es, seine Gedanken beisammen haben. Hier konnte man nicht einfach in den Mantel schlüpfen und eben an die Ecke zum Kaufmann laufen, wenn man etwas vergessen hatte.
Die Arbeit fiel ihr im Anfang schwer. Sie war drei Jahre weg gewesen, und es war hart, von neuem zuzupacken.
Aber Tore schrieb einen Brief und erzählte, wie wohl er sich auf der Schule fühle und wie viel man dort lerne. Jetzt hatte er allerlei erfahren, was er im Betrieb zu Haus verbessern konnte, sobald er die Zügel wieder in die Hand nahm.
So war denn Annes Opfer nicht umsonst.
Anne goß die Milch in die Kannen, säuberte die Eimer und das Sieb und stellte alles umgekehrt auf dem Herd zum Trocknen auf. Dann trank sie ihren Kaffee und zog sich Tores Overall über. Sie zündete eine Laterne an und ging wieder in den Stall.
Doch! Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern mit Schecke. Sie stand unruhig in ihrem Verschlag, brüllte klagend und zerrte an der Kette.
Anne rieb sie mit Strohwischen trocken. Schecke brüllte wieder.
Mit einemmal beschlich Anne eine Angst. Sie hatte schon früher Kälber in die Welt geholt, aber heute war es ihr zum erstenmal allein überlassen. Die Verantwortung ruhte nun auf ihr. Wenn nun etwas schief ging? Aber weshalb sollte es schiefgehen? Schecke hatte schon drei Kälber in die Welt gesetzt, es war immer gut abgelaufen.
Anne hockte sich auf einen Melkschemel, wartete. Es war ganz still um sie. Das Rauschen des Wasserfalls ertönte aus der Ferne, wenn sie hinhörte. Wenn sie jedoch nicht an ihn dachte, dann nahm sie ihn auch nicht wahr.
Da knarrte die Tür. Sie wandte den Kopf. „Aber Mutter, bist du noch
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