Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
dann war Anne an der Reihe, Jess Hilfe zu leisten.
„Du mußt im Funk unter allen Umständen dabeisein“, sagte Jess. „Wenn ich weiß, du sitzt daneben - am liebsten so, daß ich deine blonden Haarzotteln sehen kann - dann spiele ich viel besser.“
So ging Anne denn mit und setzte sich still in eine Ecke des Studios, während Jess spielte. Jedes einzige von den kleinen Stücken, die er spielte, rief in Anne ganz bestimmte Erinnerungen wach. Dies war aus Möwenbucht - Abendstimmung über dem Schwarzbuckel. Dann kamen die kleinen Sachen, die er in jenem Sommer vor zwei Jahren komponiert hatte, als er so ganz aus dem Häuschen war vor Freude, weil er Musik studieren durfte anstelle der Handelsfächer. Dann kam eine Nocturne, voller Sehnsucht und Wehmut - die stammte aus dem Winter, als sie die Hochzeit hinausschieben mußten, weil Anne daheim in Möwenbucht Pflichten hatte. Die kleinen Kompositionen fügten sich aneinander wie Perlen auf einer Schnur - ein musikalisches Tagebuch, mußte Anne denken und lächelte vor sich hin.
Dann kam das letzte Stück: Am Mondsee.
Anne hatte es noch nie gehört, Eva und Onkel Herluf hatte sie es nicht gezeigt. Sie selbst konnte nicht Klavier spielen - die Noten kannte sie zwar, dies hätte sie aber nie allein durchklimpern können. Sie wollte auch Eva nicht bitten, es für sie zu spielen. Wenn sie es zum ersten Mal hörte, mußte es Jess sein, der es ihr vorspielte.
Und jetzt spielte er.
Anne schloß die Augen. Sie sah wieder den Mondsee vor sich, sie hörte das leise Gurgeln des Wassers unterm Kahn, sie sah die Mondsichel über dem Gipfel des Schafbergs aufgehen - und sie spürte den Duft der Lindenallee, sie hatte die ganze Stimmung jenes Abends im Blut.
Die Berceuse schloß mit einem kleinen, verhallenden Pianissimo - die Dunkelheit hatte sich auf den Mondsee gesenkt, und es war so still - so still - sogar die kleinen Wellen hatten aufgehört zu plätschern.
Es war zu Ende. Die rote Lampe erlosch. Jess stand auf und trat auf Anne zu. Sie saß noch immer schweigend im Sessel, ihre Augen waren sehr blank. „Liebes“, flüsterte Jess und neigte sich über sie.
Der Techniker drinnen im Aufnahmeraum zog diskret den Vorhang vor die Glasscheibe zum Studio.
Während Jess am nächsten Tag mit Jeanne Jouvet probte, führte Anne endlich aus, was sie schon lange vorgehabt hatte. Sie machte sich auf den Weg, um einen Tisch für ihren Laden zu erstehen.
Es war nicht leicht, das Richtige zu finden, denn der Platz war sehr beschränkt. Anne hatte gemessen und gerechnet und war zu dem Ergebnis gekommen, daß ein gebogener Ecktisch - oh, das wäre das Ideale, ob sie den aber würde auftreiben können? Und was so einer wohl kostete? Sicher war er unerschwinglich.
Nun, fragen konnte man auf alle Fälle mal.
Und dann ging Anne zu der Firma „Büro- und Ladeneinrichtungen AG“.
Ladentische aus Glas gab es, weiß der liebe Himmel. Breite und schmale, hohe und niedrige, wunderbar praktisch eingerichtet, mit kleinen Fächern und großen Fächern, die Fächer konnten ganz nach Belieben verstellt werden - Anne sah im Geiste einen solchen Tisch vor sich, angefüllt mit Jacken, mit Pullovern, mit kleinen Fächern für Fausthandschuhe und Strümpfe.
Sie fragte vorsichtig nach dem Preis. Und traute ihren eigenen Ohren nicht, als sie ihn vernahm!
Nein, das mußte sie sich aus dem Kopfe schlagen.
Sie warf noch einen langen Blick in die Runde und seufzte.
„Wir haben einen stehen, der ist nicht ganz neu“, sagte da der Verkäufer. „Es ist allerdings ein Ecktisch, aber.“
„Ach, zeigen Sie mir den doch bitte“, sagte Anne.
Und da stand ihr Ladentisch. Genauso abgerundet, wie er sein sollte, genau die richtige Höhe - sie ließ sich vom Verkäufer die Breite ausmessen, die paßte, als sei der Tisch für Anne gemacht. „Was kostet der?“
Der Verkäufer wußte es nicht genau. Er mußte erst den Chef fragen.
Anne wartete. Oh, wenn er bloß nicht zu teuer wäre - wenn er nun bloß nicht zu teuer wäre - wenn sie den bekäme, dann könnte sie Wandbretter sparen - und hier drinnen würde die Ware so wunderbar staubfrei liegen - und auch übersichtlich und.
Da stand ein Herr vor ihr, und Anne meinte, das Gesicht zu kennen, in das sie blickte.
„Oh.“ sagte sie und überlegte fieberhaft, wo sie ihr Gegenüber schon getroffen hätte.
„Nanu - Sie kenne ich doch - ach ja, jetzt weiß ich! Kiosk! Konfektschachtel! Meine Mappe! Nicht wahr, Sie sind doch die norwegische junge Dame,
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