Anne Frasier
ihr Hals brannten. Während sie schrie, stürzte sie sich auf das Wesen, das sich über ihr Baby gebeugt hatte.
Er ließ etwas fallen, und es knallte auf den Boden, zerbrach. Später stellte die Polizei fest, dass es die Schneekugel gewesen war, die sein Markenzeichen darstellte, sein Geschenk für die Babys.
Sie spürte nicht die Glasscherben, die sich in ihre nackten Fußsohlen bohrten, Claudia warf ihre gesamten sechzig Kilo gegen den dunklen Umriss und schrie dabei, so laut sie konnte. Schritte von oben waren zu hören.
Der Mann stieß sie zurück aufs Bett, mit einem Arm stieß er die weiße Lampe mit dem Keramikteddybär zu Boden, die Glühbirne zerbrach, das Zimmer versank in Dunkelheit.
Er hob eine Hand an ihren Hals, damit sie aufhörte zu schreien, damit sie aufhörte zu atmen.
Sie rang nach Luft, und er sprach zu ihr, seine Stimme hoch und erregt.
»Du darfst deine Hand nicht gegen mich heben. Hast du denn keinen Respekt? Du Hure. Hure, Hure, Hure! Sprichst von einer jungfräulichen Geburt. Aber ich kenne dich. Ich weiß, dass du eine Hure bist.«
Lichter blitzten vor ihren Augen, und sie realisierte, dass jemand gegen ihre Wohnungstür hämmerte.
»Was ist da los?«
Chicago, dachte sie flüchtig.
Wer hätte gedacht, dass jemand in Chicago einem Fremden zu Hilfe kommt?
Sie versuchte, die Finger von ihrem Hals zu lösen, aber der Mann war stark, seine Hände schlangen sich um ihren Hals wie Krallen, er schien nur aus Muskeln und zitternden Sehnen zu bestehen.
Noch einmal blitzten die Lichter in ihrem Kopf auf, dann wurde es dunkel, eine tiefe, schwarze Dunkelheit verschluckte sie, die jenseits der Träume lag, jenseits des tiefsten Schlafes. Bevor sie das Bewusstsein vollständig verlor, spürte sie etwas Heißes, Feuchtes, Klebriges auf ihrer Brust, und sie roch den metallischen Duft von Blut.
Ivy schloss die Madonna-Mörder-Akte. Sie hob eine Hand und merkte, dass sie zitterte. Ihre Haut war kalt und klamm, obwohl in der Wohnung über fünfundzwanzig Grad herrschen mussten.
Was tat sie hier?
Tat sie so, als wäre sie zurückgekommen, um dieses Schwein zu schnappen? Menschen verbrachten ihr ganzes Leben damit, sich zum Narren zu halten. Sie redeten darüber, was sie vorhatten, diskutierten ihre großen Pläne, während sie sich nur Tag für Tag durchschlugen. Denn in Wahrheit mussten Menschen etwas haben, wovon sie träumen konnten, was ihnen heilig war; selbst wenn sie es niemals schaffen würden.
7
Es war zwei Uhr nachts in Shady Oaks. Künstliche antike Straßenlaternen folgten der Kurve des Bürgersteigs in perfekter Symmetrie. Die Sprinkler waren an, und wenn Ethan Irving an der richtigen Stelle stand und im richtigen Winkel schaute, konnte er einen kleinen Regenbogen sehen, der es niemals bis zum Himmel schaffen würde. Hinter dem Rollrasen, der von einer Rasenfarm hundert Meilen weit weg stammte, begannen Maisfelder, die einstmals Wald gewesen waren, in dem Indianer lebten und jagten.
Die Menschen sprachen schlecht über die Vororte, aber Ethan mochte das beruhigende Gemurmel des Lebens knapp außerhalb seines Schlafzimmerfensters, ihm gefiel, wo er aufgewachsen war, vor allem weil es das Einzige war, was er je kennen gelernt hatte, zumindest das Einzige, woran er sich erinnern konnte. Aber ab und zu hasste er die mangelnde Individualität. Alles war überall gleich. Manchmal hatte er das Gefühl, wenn er nur den Mut aufbrächte, abzuhauen, würde er nie zurückkommen. Nicht, wenn er den Rest der Welt zu Gesicht bekommen hätte. Aber die Gleichheit bot auch Sicherheit. Er hing schon sein ganzes Leben mit denselben Kids ab. Das Blöde daran war, dass man immer derjenige sein musste, den sie kannten und erwarteten. Und je älter man wurde, desto mehr passte man sich, wenn man beisammen war, den alten Rollen an. Ethan hatte schon lange vermutet, dass seine Freunde, wenn sie sich mit anderen Leuten trafen, anders waren. Sie wuchsen - sie wurden zu größeren, klügeren Ausgaben ihres ehemaligen Selbst.
Mit Kopfhörer auf und Walkman an, den Kopf voll mit dem Sound der Smiths, lief Ethan genau in der Mitte der Straße, die Sohlen seiner Turnschuhe klatschten auf den Asphalt, der immer noch sonnenwarm war. Er wurde langsamer, als er das Carter-Haus erreichte. John und Lily Carter. Ein Paar Mitte zwanzig. Sie waren vor zwei Jahren hergezogen, und seitdem war Ethan heimlich in Lily verknallt. Manchmal redete er mit ihr. Sie musste einsam sein, denn sie schien sich immer zu freuen, ihn zu
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