Anne Gracie
Sicherheit.“
Doch dieses
Mal wehrte sie sich gegen ihn. „Ist sie nicht. Nicht Torie. Nicht meine
Torie“, stammelte sie und versuchte, ihn aus dem Weg zu schieben. Sie war
überraschend stark.
„Komm ins
Bett“, sagte er. Als sie weiterhin gegen ihn ankämpfte, hob er sie
einfach auf seine Arme.
Mit leerem,
herzzerreißendem Blick starrte sie an ihm vorbei. „Sie ist tot, nicht wahr?
Meine Torie?“ Tränen strömten über ihre Wangen.
Ihre tiefe
Trauer zerriss ihn innerlich. Er trug sie wieder zurück in ihr Bett und nahm
sie in den Arm. Ihr tränenfeuchtes Gesicht ruhte an seiner Brust. Er küsste
die salzigen Tränen fort und wünschte, er hätte ihr den Schmerz abnehmen
können.
Er redete
sich ein, dass sie sich am kommenden Morgen an nichts mehr erinnern würde.
Es half
nicht. Und so drückte er sie an sich, wiegte sie sanft und murmelte ihr
tröstende Worte zu, bis ihr nächtlicher Kummer verflogen war. Irgendwann lag
sie endlich matt und kraftlos in seinem Arm, ihr Atem ging langsamer und dann
schlief sie wirklich. Auch Harry schlief erschöpft ein.
Am nächsten
Morgen nahm er sie mit zu einem Ausritt im Park, um die Gespenster der Nacht
endgültig zu vertreiben. Reiten half immer, wenn man angespannt war. Und Nell
war so angespannt, dass sie daran zerbrechen konnte.
Die Suche
hatte schon viel zu lange gedauert.
Die
Bewegung an der
frischen Luft hatte ihr gutgetan. Als Nell nach dem Ausritt gewaschen und
umgezogen aus ihrem Zimmer kam, waren unten in der Halle Männerstimmen zu
hören.
Sie war
neugierig auf Harrys Freunde und schlich still die Treppe hinunter. Auf der
Hälfte blieb sie stehen.
Was werden
sie davon halten, dass ihr Freund ein gefallenes Mädchen heiratet? dachte sie.
Ihr war es ziemlich gleichgültig, Hauptsache, sie fanden Torie. Aber Harry
legte vielleicht Wert auf ihre Meinung.
Der eine
musste Rafe Ramsey und der andere Luke Ripton sein, aber wer von beiden war welcher?
Der Größere
der beiden wirkte äußerst elegant; er trug einen tadellos geschnittenen
dunkelblauen Gehrock, ein frisch gestärktes Hemd mit einem kunstvoll gebundenen
Halstuch, eine Reithose aus Leder und auf Hochglanz polierte Stiefel. Er
erinnerte beinahe an einen Dandy, was ihn jedoch von dieser Spezies
unterschied, waren seine breiten Schultern – ohne Schulterpolster – und die
muskulösen, kräftigen Beine eines Reiters.
Das war
wohl Rafe. Harrys Beschreibung hatte ihr den Eindruck vermittelt, dass Rafe
besonnen und von trügerischer Trägheit war. „Nonchalant“ war das Wort,
das er benutzt hatte, und so wirkte dieser Mann tatsächlich.
Harry hatte
Luke als „gefallenen Engel“ bezeichnet. Als Nell nun sein Gesicht sah,
verstand sie auch, warum. Er war eine dunkle, beinahe tragisch wirkende
Schönheit, mit dunklen Augen und hochstehenden Wangenknochen, um die ihn jede
Frau beneidet hätte. Sein dichtes dunkles Haar war zerzaust, sein Halstuch
nachlässig gebunden. Er schien voller rastloser Energie zu sein, denn er war
ständig in Bewegung, hieb mit der Peitsche gegen seine Stiefel, ging beim Reden
hin und her und unterstrich jeden seiner Sätze mit lebhaften Gesten.
Die Uhr in
der Halle schlug Viertel vor acht. Nell atmete tief durch und ging weiter die Treppe
hinunter.
Harry
entdeckte sie als Erster. Ihre Blicke trafen sich, und Nell wurde warm ums
Herz. Sie merkte, dass auch seine Freunde sie anstarrten, aber das war ihr
gleichgültig. Sie fühlte sich hübsch, wenn Harry sie so ansah. Cooper hatte ihr
das Haar wieder rund um den Kopf
geflochten und dieses Mal ein gelbes Band mit hineingearbeitet.
Harry kam
ihr entgegen, nahm ihre Hand und führte sie die letzten Stufen hinunter. „Das
sind meine Freunde, Nell – Rafe Ramsey und Luke Ripton. Gentlemen,
Weitere Kostenlose Bücher