Anne Gracie
möglich heiraten.“
Sie
erwiderte seinen Blick verhalten, sagte aber nichts. „Sie müssen stattdessen
mich heiraten.“
Nell zuckte
leicht zusammen, sie war sich nicht sicher, wo das hinführen sollte. Seine
Miene wirkte unbewegt, aber sie glaubte, ein leichtes Funkeln in diesen
blassblauen Augen wahrzunehmen.
„Versuchst
du, mir meine Verlobte wegzunehmen?“, fragte Harry offensichtlich
unbekümmert und schenkte Nell heiße Schokolade nach.
„Selbstverständlich“,
bestätigte Rafe. „Wer würde das nicht tun? Eine reizende Dame, die nicht
vorhat, ihren Gatten nach der Hochzeit zu verändern? Welcher Mann würde sich
das entgehen lassen?“
„Nun, aber
wenn ich Sie heiratete“, gab Nell mit gespieltem Ernst zu bedenken, „dann
würde ich diesbezüglich sicher meine Meinung ändern.“
Erst trat
Stille ein, doch dann lachten die Männer schallend los. Rafe versuchte, ein
beleidigtes Gesicht zu machen, aber schon bald
stimmte er in das Gelächter der anderen ein. Er zwinkerte Nell zu und sie
lächelte ihn scheu an. Wie es schien, hatten Harrys Freunde sie akzeptiert.
„Dieses
Geräusch kenne ich doch“, rief Lady Gosforth, als sie ihn den Salon eilte.
„Rafe, Luke, meine Lieben, ihr seid viel zu lange nicht hier gewesen.“
Sie
sprangen auf und machten schöne, elegante Verbeugungen, die Lady Gosforth aber
nicht weiter beachtete; stattdessen küsste sie beide
Männer liebevoll auf die Wangen. Sie bedeutete ihnen, wieder Platz zu nehmen,
und überschüttete sie mit Fragen nach ihren zahlreichen Verwandten, während sie
gleichzeitig Sprotton Anweisungen erteilte.
Nell hörte
schweigend zu und genoss die Unterhaltung sehr. Es war ganz klar, dass das
etwas Alltägliches war. Lady Gosforth behandelte
Harrys Freunde, als wären sie ihre eigenen Verwandten, und die Männer empfanden
offensichtlich große Zuneigung für sie. Für ein Mädchen, das so viele Jahre
ohne Familie oder die Gesellschaft von Gleichaltrigen verbracht hatte, was das
ein herzerwärmender Anblick.
Doch als
das Gespräch und das Gelächter über Leute, die sie nicht kannte, anhielten,
begaben Nells Gedanken sich auf Wanderschaft. Wenn Rafe und Luke die vielen
verschiedenen Armenhäu ser durchkämmten, hatten sie eine viel größere Chance,
Torie zu finden. Sie warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr am Kamin. Es wurde
langsam spät.
Draußen vor
der Tür nahm sie eine Bewegung wahr. Es war Cooper, die Nells Mantel und Hut
brachte; pünktlich wie besprochen für die Abreise um acht.
Harry
musste sie ebenfalls gesehen haben, denn er legte das Besteck ab, leerte seine
Kaffeetasse und faltete seine Serviette zusammen. „Es wird Zeit
aufzubrechen.“
Sofort
taten seine beiden Freunde es ihm gleich. Man sieht, dass sie Soldaten gewesen
sind, dachte Nell, jederzeit auf der Stelle einsatzbereit.
Lady
Gosforth verfolgte ungläubig, wie auch Nell sich erhob. „Du entführst mir das
Mädchen doch nicht schon wieder für den ganzen Tag, oder?“, sagte sie zu
Harry. „Sie muss sich um ihre Aussteuer kümmern!“
„Die
Einkäufe müssen warten“, erklärte Harry. „Zuerst gibt es da noch ein paar
wichtige geschäftliche und juristische Dinge zu erledigen. Sie haben mit meinem
Besitz zu tun“, fügte er hinzu, als es aussah, als wollte seine Tante ihn
noch weiter ausfragen.
Lady
Gosforth schnaubte ungnädig. „Als ob Nell sich dafür interessieren würde. Das
Mädchen braucht Kleider, um Himmels willen! Rafe, Luke, da stimmt ihr mir doch
gewiss zu.“ Hilfe suchend wandte sie sich an die beiden.
Rafe zupfte
hoch konzentriert einen unsichtbaren Staubfussel von seinem makellosen Gehrock
und runzelte dabei angestrengt die Stirn.
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