Anne Gracie
Luke hatte ein kleines Büchlein aus
seiner Tasche gezogen und durchblätterte es mit ernster Miene.
Lady
Gosforth schnaubte erneut. „Ich sehe schon, ihr Jungs haltet mal wieder
zusammen wie Pech und Schwefel. Nun, meine Liebe, dann müssen eben wir beide
...“
„Es tut mir
leid, Lady Gosforth“, unterbrach Nell sie hastig, „aber ich muss ihn
wirklich begleiten.“
„Überaus
loyal von Ihnen, meine Liebe.“ Sie verdrehte die Augen und warf Harry
einen Blick zu, der besagte, dass sie eindeutig ihm die Schuld für die
Vereitelung ihrer Pläne gab – Nell jedenfalls nicht. „Wie um alles in der Welt
soll ich die Aussteuer und das Hochzeitskleid
rechtzeitig fertigbekommen, wenn du sie den ganzen Tag von hier fernhältst?
Bis zur Hochzeit sind es keine drei Wochen mehr!“ Ihre Miene wurde
trotzig. „Ganz gleich, was du sagst, Harry – ich habe Termine für Nell mit
meiner Schneiderin, meiner Modistin und meinem Schuhmacher vereinbart und
...“ Nell sah Harry verzweifelt und flehentlich an. Er merkte ihr an, dass
sie kurz davor war, alles auszuplaudern. Sie hatte seiner Tante schon vor
geraumer Zeit anvertrauen wollen, womit sie eigentlich beschäftigt waren. Es
wäre schließlich ihr gutes Recht davon zu erfahren, wenn sie Torie in Lady
Gosforths Haus bringen wollten, hatte sie gesagt. Seine Tante könnte ja etwas
dagegen haben.
Das könnte
sie in der Tat, dachte Harry und erinnerte sich an seine eigene erste Erfahrung
mit Lady Gosforth. Nur die wenigsten Menschen akzeptierten eine uneheliche
Geburt. Damals hatte Tante Maude eine Ausnahme für einen Blutsverwandten
gemacht, aber nur, weil Gabriel sie mehr oder weniger dazu gezwungen
hatte.
Er sah Nell
an und schüttelte unauffällig den Kopf. Dann wandte er sich wieder an seine
Tante. „Also gut, ab ein Uhr kannst du Nell für
zwei Stunden für dich haben.“
„Zwei
Stunden? Du glaubst, ich kann in zwei Stunden eine Aussteuer
zusammenstellen?“
„Nein, aber
du kannst deine Schneiderin für ein Uhr hier einbestellen, wenn wir zum
Mittagessen zurückkommen, dann kann sie schon
einmal Nells Maße nehmen.“
„Nell wird
sich doch Stoffe und Schnitte aussuchen wollen, du törichter Junge! Darum geht
es doch gerade, wenn man sich neue Kleider kauft – um das Vergnügen des
Aussuchens, nicht wahr meine
Liebe?“
Nell
starrte sie an und hätte am liebsten zu schreien angefangen. Lady Gosforth war
sehr freundlich, aber Nell wollte jetzt nur noch fort und nach ihrer Tochter
suchen. Umgehend! Kleider waren ihr
völlig gleichgültig.
Aber sie
hatte in ihrem bisherigen Leben nicht viel Großzügigkeit erfahren, und sie
konnte Lady Gosforths Freundlichkeit nicht einfach zurückweisen, vor allem,
weil die ältere Dame Nell zuliebe alles andere hatte stehen und liegen lassen.
Innerlich zerrissen sah sie Harry an. Sie wusste nicht, was sie sagen oder tun
sollte.
Er machte
einen Schritt vorwärts. „Ihre Zofe kann das für sie tun“, schlug er vor.
„Sie kann für Nell aussuchen.“
Cooper, die
still an der Tür gestanden hatte, legte erschrocken die Hände vor den Mund.
Nell war
ebenfalls verblüfft, aber das war eine brillante Lösung. Schon zu normalen
Zeiten interessierte sie sich kaum für Kleidung und im Moment erst recht nicht,
aber Cooper ... Cooper würde so etwas großen Spaß machen.
„Ihre Zofe?“, rief Lady Gosforth entsetzt aus. „Harry, sei nicht albern!“
Nell warf
Cooper einen fragenden Blick zu.
„Warum denn
nicht? Du sagtest selbst, sie sei sehr talentiert. Sie wird genau wissen, was
Nell braucht“, beharrte er.
Cooper
nickte Nell ungläubig, aber strahlend zu.
„Das geht
nicht. Eine Zofe ist ja schön und gut“, erklärte Lady Gosforth, „aber so
etwas kann sie schlichtweg nicht ...“
„Ich halte
das für eine
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