Anne Gracie
Natürlich
liegt mir nichts ferner, als eine Frau zu kritisieren, der ich nie begegnet
bin,
Ethan runzelte die Stirn. Nie begegnet?
Was glaubte sie denn, wem er den Hof machte?
aber es
kommt mir so vor, als brächte sie Ihnen nicht die gebührende Wertschätzung
entgegen. Sie sind ein guter, anständiger, ehrbarer und intelligenter Mann, Mr
Delaney, der es in dieser Hinsicht mit jedem anderen Mann weit und breit
aufnehmen kann.
Diese Stelle las Ethan gleich noch einmal
und genoss dabei jedes einzelne Wort – gut, anständig, ehrbar und intelligent.
Er kannte keinen anderen Menschen, der ihn so beschreiben würde. Als gut
vielleicht. Oder anständig. Möglicherweise auch ehrbar. Aber niemals alle drei
Eigenschaften zusammen und dann auch noch mit dem Zusatz „intelligent“ .
Lassen
Sie niemals zu, dass man Sie wie einen minderwertigen Menschen behandelt, und
schämen Sie sich nie Ihrer Herkunft und für Dinge, die man nicht ändern und die
man Ihnen nicht zum Vorwurf machen kann. Was zählt, ist allein, was Sie aus
Ihrem Leben gemacht haben, Ihre Fähigkeiten und am allermeisten Ihr Herz. Wenn
diese Frau all das an Ihnen nicht zu schätzen weiß, dann ist sie Ihrer nicht
wert.
Hier wurde die Tinte wirklich ziemlich
fleckig. In dem Moment muss es zu regnen angefangen haben, dachte Ethan. Das
würde auch den merkwürdigen Schluss des Briefes erklären.
Ich sage
Ihnen das als Ihre ehemalige Lehrerin, der Ihr Wohlergehen und Ihr künftiges
Glück sehr am Herzen liegt.
Mit den
freundlichsten Grüßen
Miss Jane Tibthorpe
Ethan schmunzelte, als er den Brief
vorsichtig zusammenfaltete und ihn zu allen ihren anderen Briefen in die
Schachtel legte.
So, Tibby
gefiel diese Frau also nicht, der er den Hof machte. Spürte er da so etwas wie
Eifersucht? „Das hoffe ich doch, Liebling, das hoffe ich doch schwer“,
murmelte er vor sich hin, als er den Deckel der Schachtel zuklappte.
„Vielleicht bringt sie mir ja doch Gefühle entgegen, oder was meinst du,
Freckles?“ Die Hündin wedelte mit dem Schwanz. „Ja, ja, und sie hält mich
auch noch für intelligent! Nicht schlecht für einen ehemaligen irischen Analphabeten,
wie?“ Mit beschwingten Schritten machte er sich auf den Weg zum Pfarrhaus.
„Nun,
Vikar, was können
Sie mir über einen jungen Kerl namens Lochinvar erzählen?“ Ethan setzte
seinen letzten verbliebenen Springer. „Schachmatt“, verkündete er und lehnte
sich zurück.
Der Vikar
betrachtete stirnrunzelnd das Schachbrett, dann schüttelte er den Kopf.
„Unglaublich. Diesen Zug habe ich nicht kommen sehen. Ausgezeichnet, mein
Junge, ausgezeichnet.“
Ethan
unterdrückte ein Schmunzeln. Er war inzwischen fast vierzig Jahre alt, aber der
alte Mann nannte ihn immer noch „mein Junge“ . „Wissen Sie, wen ich
meine?“
„Lochinvar?
Ja, das weiß ich“, erwiderte der Vikar. „Ich nehme an, das hat mit Ihrer
Herzensdame zu tun.“
„Richtig.
Ich habe vorher noch nie von ihm gehört, aber sie scheint alles über ihn zu
wissen.“
„Dann hat
Ihre Miss Tibby eine Schwäche für romantische Helden.“
„Ach.“
Ethan runzelte die Stirn. Er hielt sich nicht für einen Romantiker und schon
gar nicht für einen Helden. Romantiker waren
hübsch, Helden schneidig. Ethan war nur ein lädierter alter Kater, der mit
einer Frau sesshaft werden wollte, die zu lieben er eigentlich gar nicht das
Recht hatte. Er baute einfach auf Tibbys Vorliebe, Streuner bei sich
aufzunehmen.
Der Vikar
zitierte: „,Treu in der Liebe und furchtlos im Kampf er war – Nie gab es einen
Ritter wie Lochinvar! “
Ethan
beugte sich nach vorn. „Er war ein Ritter? Als wir uns das erste Mal
begegneten, sagte sie, ich wäre wie der junge Lochinvar.“
Der Vikar
zog die Brauen hoch. „Mein Gott! Was haben Sie denn
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