Anne Gracie
Tiers sah. Irgendwann musste jemand die Stute
gnadenlos mit der Peitsche bearbeitet haben. „Ich habe mein ganzes Leben mit
Pferden verbracht“, erwiderte er jedoch nur. „Soll ich jetzt versuchen,
das Fohlen zu drehen?“
„Nein, das
mache ich selbst“, erklärte die Frau. „Kleine Hände sind dafür besser
geeignet.“
Damit hatte
sie recht; außerdem schien sie zu wissen, was sie tat. Daher setzte Harry sich
so hin, dass er sie vor den schlagenden Hufen schützen konnte und sagte: „Sie
können anfangen.“
Es war
unglaublich. Zwei Wochen lang hatte er immerzu an sie denken müssen und jetzt war
sie da, keinen Meter von ihm entfernt. Was machte sie hier auf Firmin Court,
allein in einem verlassenen Stall und einer Stute Geburtshilfe leistend?
Er
verfolgte, wie sie das Ende einer Wehe abwartete, tief durchatmete und die
Fruchtblase mit den Fingern öffnete. Flüssigkeit ergoss sich über ihre Hand,
als sie entschlossen den kleinen Huf packte und ihn sanft in den Mutterleib
zurückschob, bis ihr ganzer Unterarm darin verschwunden war.
„Lebt das
Fohlen?“, fragte Harry.
Kurzes
Zögern, dann: „Ja.“ Sie runzelte die Stirn und tastete. „Ein Bein ist
angezogen und liegt unter ihm. Ich versuche jetzt, es ...“ Sie sog
schmerzerfüllt den Atem ein, als sich der Geburtskanal während einer
neuerlichen Wege um ihren Arm zusammenzog.
Harry
verzog mitfühlend das Gesicht. Er hatte das selbst schon erlebt, es war
verdammt schmerzhaft. Er hätte erwartet, dass eine Frau dabei aufschreien
würde, aber sie gab keinen Laut von sich.
Sie
wartete, bis die Wehe abgeklungen war, dann versuchte sie angestrengt weiter,
das Bein des Fohlens freizubekommen. Es war eine heikle Angelegenheit und
erforderte viel Fingerspitzengefühl. Wendete sie zu viel Kraft an, konnten die
Stute und das Fohlen schwere Verletzungen davontragen.
Sie ächzte
leise und fing behutsam an, sich zurückzuziehen. Mit einer langsamen,
fließenden Bewegung zog sie erst den Arm, dann die Hand wieder aus der Stute.
Sie öffnete die Hand und Harry sah zwei winzige, dunkle Vorderbeine zum
Vorschein kommen, gleich darauf gefolgt von einer Nase.
„Sie haben
es geschafft! “, rief Harry atemlos.
Sie schien
ihn gar nicht zu hören. Sie lehnte sich zurück auf ihre Fersen und beobachtete,
wie nach einer weiteren Wehe das ganze Fohlen in einem Schwall von Flüssigkeit
aus dem Mutterleib glitt.
Die Stute
hob den Kopf und betrachtete das nasse, dunkle Bündel, das zum Teil immer noch
von der Eihaut eingehüllt war. Sie beschnupperte es vorsichtig und fing dann
an, ihr Fohlen sauber zu lecken.
Die Frau
rührte sich nicht, daher schob Harry eine Hand unter ihren Ellenbogen, um ihr
beim Aufstehen zu helfen. Sie zuckte erschrocken unter seiner Berührung
zusammen und erhob sich geschmeidig und ohne seine Hilfe. „Sie muss jetzt mit
dem Fohlen allein sein“, sagte sie und schob ihn aus der Box.
Sie zog die
untere Boxentür hinter sich zu und beugte sich dann darüber, während sie sich
die Hände an einem Lappen abwischte. Sie schien den Blick nicht von der Stute
und dem Fohlen wenden zu können.
Harry
wiederum konnte den Blick nicht von der Frau wenden. Zum ersten Mal konnte er
sie im Normalzustand sehen, nicht völlig durchnässt und schmutzig. Sie war
mittelgroß und hatte ein schmales, ernstes Gesicht. Ihr Teint wirkte im fahlen
Licht des Stalls immer noch blass schimmernd und makellos rein. Er hatte sich
vorgestellt, dass ihr Haar heller sein würde, sobald es getrocknet war, und
das stimmte auch. Es hatte die Farbe von Honig und wies ein paar goldblonde
Strähnen auf. An diesem Tag hatte sie es im Nacken zu einem lockeren Knoten
geschlungen, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten.
Sie trug
ein altes
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