Anne Gracie
Freymore? Harry
zuckte zusammen. Freymore war der Familienname der Earls of Denton, er hatte
auf allen Papieren des Besitzes gestanden. Auch Harry starrte sie an.
„Einfach-nur-Nell“ war Lady Helen Freymore?
Die Frau,
die im strömenden Regen mit schmutzigen, baumelnden Beinen auf einem einfachen
Fuhrwerk gesessen hatte; die Frau, die geschickt Geburtshilfe bei einer Stute
geleistet hatte, sollte die Tochter eines Earls sein? Es musste sich um ein
Missverständnis handeln.
„Lady
Helen, Sie wissen doch, dass Sie nicht hier sein sollen“, sagte
Pedlington mit einer Mischung aus Mitleid und Verzweiflung. „Ich habe es Ihnen
doch schon erklärt.“ Er warf Harry einen verlegenen Blick zu und fuhr
leiser fort: „Sie können hier nicht bleiben. Das Haus hat monatelang leer
gestanden und meine Anweisung lautet, es als unbewohnten Besitz zu
verkaufen.“ Er legte besondere Betonung auf das Wort „unbewohnt“ .
„Das
verstehe ich, Mr Pedlington“, gab sie ruhig zurück. „Ich habe auch bereits
entsprechende Maßnahmen ergriffen, aber die Stute war in Not.“
„Die
Stute?“
„Ja, sie
ist eigentlich schon zu alt zum Fohlen und dann stellte sich auch noch heraus,
dass ihr Fohlen falsch lag. Beide wären gestorben, wenn ich nicht da gewesen
wäre und das Fohlen im Mutterleib gedreht hätte.“
„Lady
Helen, bitte!“, protestierte Pedlington und lief puterrot an. „Solche
Dinge dürften Sie eigentlich gar nicht wissen!“
Sie sah ihn
nachdenklich an. „Ja, aber das tue ich nun einmal. Ich habe noch nie
verstanden, warum man Frauen in Unkenntnis über einen Prozess lässt, der für
sie schließlich ...“
„Lady Helen!“ Der Anwalt warf Harry einen tödlich verlegenen Blick zu.
Sie
seufzte, ersparte dem Mann aber weitere Peinlichkeiten. „Die Stute hat einmal
mir gehört, also liegt mir ihr Wohlergehen sehr am Herzen.“
„Nun, jetzt
gehört sie Ihnen aber nicht mehr“, erwiderte der Anwalt gereizt. „Man hat
mir versichert, Sie hätten eine neue Bleibe gefunden, Lady Helen.“
„Das habe
ich natürlich“, bestätigte sie würdevoll. „Ich wollte auch heute Morgen
abreisen, aber ...“
„Dann tun
Sie das bitte. Die Tiere gehen Sie nichts mehr an. Sie werden an den verkauft,
der sie haben will.“
Das Blut
schoss in ihre sonst so blassen Wangen. „Sie dürfen sie nicht bewegen! Sie hat
gerade erst gefohlt und das Wetter wird von Tag zu Tag schlechter. Das Fohlen
sollte ...“
„Darüber
haben Sie nicht mehr zu bestim...“
„Ich kaufe
sie beide“, meldete Harry sich zu Wort.
Nell und
der Anwalt drehten sich verblüfft zu ihm um. „Sie?“, fragte Nell nach.
Er nickte.
„Und ich werde mich gut um sie kümmern. Sie haben mein Wort.“ Er hielt ihr
die Hand hin.
Sie drückte
sie, ungewöhnlich fest für eine Dame. Er nahm ihren Duft jetzt besser wahr,
nach Seife, Pferd, frischem Heu und dazu warm und weiblich. Nur ein leichtes
Ziehen und er könnte sie im Arm halten und diese weichen Lippen kosten ...
Was tat er
da bloß? Harry zügelte sein Verlangen. Er kannte sie ja nicht einmal. Aber er
wollte sie kennen, Lady hin oder her.
„Danke.“
Sie schenkte ihm dieses strahlende Lächeln, das ihn schon im Wald völlig
verzaubert hatte.
Sein Körper
reagierte.
Sein
Verstand löste sich auf.
Ihm fiel
kein einziges Wort mehr ein.
„Mr Morant,
ich übernehme keine Verantwortung für auch nur ein Tier, das hier bleibt.“
Pedlingtons Stimme holte Harry aus seinen Tagträumen. „Die Tiere müssen fort.
Mr Morant? Lady Helen? Ich muss wirklich darauf bestehen.“
Der Mann
klang eindeutig pikiert. Harry hätte ihn am liebsten erschlagen wie ein
lästiges Insekt.
„Und, Lady
Helen, ich muss ferner darauf bestehen, dass Sie Firmin Court jetzt verlassen.
Ich habe Ihnen schon vor über einer Woche
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