Anne Gracie
Brüder sich wieder versöhnten und zu einer Familie wurden. Zu ihrer
Familie.
„Ich weiß
zwar, dass Sie nicht in meinen Neffen verliebt sind ...“
„Aber das bin ich
doch!“, fiel Nell ihr ins Wort.
„Wie
bitte?“
„Ich liebe
ihn sogar sehr, von ganzem Herzen“, gestand Nell. „Ich glaube, das habe
ich von Anfang an getan, es ging nur alles so schnell, dass ich mir nicht ganz
sicher war.“ Sie machte eine hilflose Handbewegung. „Ich verstehe nicht,
wie man ihn nicht lieben kann.“
Lady
Gosforth ließ sich zurück auf das Sofa fallen. „Meine Liebe, Sie ahnen ja gar
nicht, wie froh mich das macht. Aber er weiß es natürlich nicht.“
„Er muss es
wissen.“ Sie hatte es ihm doch so deutlich gezeigt.
Lady
Gosforth schüttelte den Kopf. „Harry glaubt, er sei es nicht wert, geliebt zu
werden, und das schon seit eh und je. Und jetzt, nachdem er Ihnen gegenüber
versagt hat ...“
Nell
starrte sie an. „Versagt? Wie kann er das nur glauben, nach allem, was er für
mich getan hat?“
Lady
Gosforth zuckte erneut mit den Achseln. „Er glaubt es nun einmal. Warum er das
tut? Weil er ein Mann ist. Männer denken anders als wir.“
Nell
grübelte darüber nach. Es stimmte, sie hatte ihm nie gesagt, dass sie ihn
liebte, doch dafür gab es Gründe. „Er hat mir gleich zu Beginn klargemacht,
dass Liebe nicht das ist, was er sich von mir wünscht.“ Sie erkannte
jetzt, dass sie das als Vorwand benutzt hatte, das Wort niemals auszusprechen.
Lady
Gosforth schnaubte. „Ein sturer Renfrew, durch und durch. Er meint damit, dass
er niemanden zu nahe an sich heranlassen will, aus Angst zurückgewiesen oder
verlassen zu werden.“
„Ich
verstehe“, erwiderte Nell langsam. Ja, natürlich. Sie war so lange Zeit in
ihrem eigenen Kummer und ihrer Einsamkeit gefangen gewesen, dass sie seine
nicht erkannt hatte. Sie umarmte Lady Gosforth herzlich.
„Wofür war
das denn, meine Liebe?“
„Harry hat
solches Glück, Sie zu haben, Lady Gosforth“, sagte Nell. „Sie alle haben
Glück. Wir alle.“
„Ach, nicht
doch, meine Liebe“, wehrte sie sichtlich erfreut ab. Zu ihrem gewohnten
Tonfall zurückfindend, fügte sie hinzu: „Nun wird es aber höchste Zeit, dass
wir uns duzen und du Tante Maude zu mir sagst. Und jetzt machen wir uns endlich
an die Arbeit mit dieser Aussteuer.“
Nell war
beinahe versucht, sie General Gosforth zu nennen, wie Harry das getan hatte,
aber sie sagte nur: „Ja, Tante Maude.“
Die
nächsten Tage
vergingen in einem wahren Einkaufsrausch. Nell hatte kaum Zeit für sich selbst,
und obwohl der Kummer immer ein Teil von ihr war, wie ein großes, klaffendes
Loch in ihrem Herzen, war sie dankbar für die Ablenkung.
Lady
Gosforth hatte recht: Beschäftigung half.
Sie suchten
so viele Geschäfte auf, dass Nell davon ganz wirr im Kopf wurde: Modistinnen,
Handschuhmacher, Kurzwarenhändler, Juweliere und Parfümeure. Um ein Haar hätte
sie sich im Pantheon Bazaar einen farbenfrohen Papagei und ein hübsches grünes
Schultertuch gekauft.
Und sie
lernte die ganze Zeit Dinge über sich, die sie vorher nicht gewusst hatte.
Lady
Gosforth hatte sich recht unverblümt ausgedrückt: „Damen wie du und ich, Nell,
werden niemals bildschön sein, aber wir können elegant sein, und das ist sehr
viel nützlicher. Schönheit verblasst nach ein paar Jahren, aber Eleganz nimmt
mit dem Alter eher noch zu.“
Nell war
überwältigt von ihrer Weisheit. Es stimmte: Lady Gosforth mit ihrem länglichen
Gesicht und der kühnen Nase war nicht das, was die Leute hübsch nannten, aber
sie war ungeheuer elegant und trotz ihres Alters immer noch auffallend apart.
Das Beste
daran war, dass man auf Eleganz einen Einfluss hatte, auf die
angeborenen Gesichtszüge jedoch nicht. Also beschloss sie, ebenfalls elegant zu
werden.
Bei der
Schneiderin lernte Nell, dass
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