Anne Gracie
schlichte Schnitte und sanfte Farben ihr am
besten standen. Bislang hatte sie aus praktischen Gründen meist dunkelbraun
getragen, was sie farblos aussehen ließ. Aber in einem zarten Gold- oder
Pfirsichton wirkte sie gleich ganz anders, und helles Grün stand ihr wirklich
gut.
Sie lernte,
wieder mutiger zu werden. Nach ihrem katastrophalen Debüt, bei dem ihr eigener
unaufdringlicher Geschmack ignoriert worden war und man sie stattdessen in
verspielte Rüschenkleider in Weiß oder hellen „Mädchenfarben“ gesteckt
hatte, hatte sie jegliches modische Selbstbewusstsein verloren.
Dieses Mal
waren ihre Kleider zwar auch von anderen ausgesucht worden, aber, ach, was für
ein Unterschied! Cooper hatte sich selbst übertroffen, genau wie Bragge und
Lady Gosforth. Es war nicht ein Kleid dabei, das sie nicht mochte, nicht ein
einziges! Und manche Kleider liebte sie geradezu.
Während der
Anprobe stellte sie nach und nach fest, dass sie damals recht gehabt hatte: Ein
schlichter Stil passte zu ihr, und die von ihr bevorzugten sanften Farben
standen ihr tatsächlich besser als mädchenhaftes Weiß.
Bei der
Modistin lernte Nell, dass sie ein echtes „Hutgesicht“ hatte. Auch das war
ihr vorher nicht klar gewesen.
Sie gingen
zur Kostümschneiderin und gaben zwei Reitkostüme in Auftrag. Das erste sollte
aus kamelhaarfarbenem Tuch sein, mit blauen und goldfarbenen Borten. Beim
zweiten überließ es Lady Gosforth Nell, sich einen Stoff auszusuchen. Sie sah
sich die ganze Auswahl an und ihr Blick wurde aus Gewohnheit zunächst von den
braunen, dunklen Stoffballen angezogen. Doch dann sah sie einen Ballen mit
einem kräftig violetten Stoff und hielt den Atem an.
Sei mutig,
ermunterte sie sich. „Ich möchte das Kostüm aus diesem Stoff haben.“
Stille. Die
Kostümschneiderin, Lady Gosforth und Bragge tauschten Blicke.
Cooper nahm
den Stoff stirnrunzelnd zur Hand und drapierte ihn um Nell. „Was meinen
Sie?“
Ihr
Publikum starrte Nell an. „Eine ausgezeichnete Wahl“, stellte Lady
Gosforth nach einer Weile fest. „Auf diese Farbe wäre ich für dich nicht
gekommen, aber sie ist vollkommen. Du wirst einen neuen Modetrend bestimmen.
Cremefarbene Besätze, denke ich ...“
„Ein ganz
zartes Zitronengelb“, unterbrach Cooper sie und erschrak sofort über ihre
eigene Kühnheit.
Lady
Gosforth machte schmale Augen. „Zartes Zitronengelb, ja. Wieder eine mutige
Entscheidung. Und dazu einen passenden Hut mit einer zartgelben Feder.“
Sie musterte Cooper von Kopf bis Fuß und nickte. „Sie haben wirklich ein Gespür
für so etwas, Mädchen. Gut gemacht. So wird meine Nichte sicher zum Inbegriff
von Stilgefühl und Eleganz.“
Cooper
errötete und versuchte, nicht über das ganze Gesicht zu strahlen.
Doch Lady
Gosforths Worte wärmten auch Nell das Herz. Nicht nur wegen der erstaunlichen
Vorstellung, sie könnte zum Inbegriff von Stilgefühl werden, sondern wegen der
womöglich noch viel kostbareren Worte „meine Nichte“ .
Wieder ein
kleiner Schritt vorwärts, ein kleiner Schritt in die Zukunft.
Immer einen
Tag, einen Schritt nach dem anderen – das gelang ihr. Sie kam damit zurecht.
Während des Tages – die meiste Zeit jedenfalls – ging es ihr gut. Das Problem
waren die Nächte.
Zwar
liebten sie sich jetzt jede Nacht. Sie verzehrte sich nach der Ekstase, der körperlichen
Nähe und dem vorübergehenden Vergessen. Danach schlief sie meist sofort ein.
Doch die
dunklen Stunden vor dem Morgengrauen, wenn Harry fest schlief und sie wach in
seinen Armen lag, wurden zur Qual. Sie dachte an den vergangenen oder den
kommenden Tag, an Ausritte im Park mit Harry, Rafe und Luke, an die Papageien
und Affen auf dem Pantheon Bazaar oder daran, wie sie gelernt hatte, einen
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