Anne Gracie
sehen.“ Sie klang, als wäre sie in
Panik.
Er betrat
den Irrgarten und folgte ihrer Stimme. „Aber ich bin extra den ganzen weiten
Weg gekommen, um Sie zu sehen! Wollen Sie denn nicht mit mir sprechen,
Tibby?“
„Nein ...
Ja, aber jetzt nicht. I...Ich bin noch nicht so weit“, jammerte sie. „Sie
kommen zu früh.“
Ethan
lächelte. „Nur um einen Tag.“ Er hatte nicht bis Mittwoch warten können.
Er drehte sich um und bog in einen anderen Gang ein. Das Glück war auf seiner
Seite, bisher war er kaum in Sackgassen geraten. „Sie wollen mich doch nicht
noch einen weiteren Tag warten lassen, oder, Tibby?“
„0 ...Oh
nein. Ich sehe schrecklich aus! Liebe Güte.“
Er bog
wieder um eine Ecke und da saß Tibby in der Mitte des Irrgartens auf einer Bank
und presste eine Handvoll Briefe an ihre Brust. Ihre Augen waren verweint, ihr
Haar war zerzaust. Hastig wischte sie sich über die Wangen und richtete sich
auf. Die Briefe versuchte sie unter ihrem Rock zu verstecken.
Ethan
erkannte sie sofort. Das waren die Briefe, die er ihr geschrieben hatte. Sie
hatte seine Briefe gelesen und dabei geweint. „Warum weinen Sie, Tibby?“,
fragte er sanft. „Ist es meine schlechte Rechtschreibung? Ich habe fleißig
geübt und kann inzwischen lesen wie jeder andere auch, nur meine
Rechtschreibung ... Rechtschreibung ist wirklich eine kniffelige
Angelegenheit.“
„Nein,
natürlich nicht, Ethan“, stammelte sie. „Es sind wunderschöne Briefe.
Alle Ihre Briefe sind wunderschön.“
„Was
bedrückt Sie denn dann?“ Er setzte sich neben sie und nahm ihre kleine
zarte Hand in seine große, schwielige Pranke.
„Nichts,
gar nichts“, beteuerte sie. Sie rieb sich über die Wangen und versuchte,
sich zu sammeln. „Ich ... ich bin sogar erfreut über Ihre Neuigkeiten.“
„Meine
Neuigkeiten?“
Sie sah ihn
aus großen, braunen und verweinten Augen an. „Sie heiraten schließlich, nicht
wahr? Deshalb sind Sie auch hergekommen, um mich zur Hochzeit einzuladen,
richtig?“
„So ist
es“, bestätigte er feierlich. „Und? Werden Sie kommen?“
Ihre Lippen
bebten, aber Tibby nahm sich zusammen und nickte. „Es ist mir eine Ehre. Wer
... wer ist die Braut?“
„Nun, was
das betrifft, so habe ich sie tatsächlich noch gar nicht gefragt.“
Tibby
runzelte die Stirn. „Ethan, warum zögern Sie? Wenn es nämlich wieder so eine
törichte Anwandlung von Ihnen ist, sich minderwertig zu ...“
„Die Sache
ist die, Miss Tibby, ich weiß, ich bin ein irischer Hinterwäldler und habe ein
raues Leben geführt, und sie ist eine so feine Dame ...“
„Wenn Sie
es wagen, sich noch einmal in meiner Gegenwart so herabzusetzen, dann ... dann
...“ Als sie ihn ansah, verstummte sie, weil ihr plötzlich bewusst war,
wie nah er neben ihr saß.
Ethan ließ
ihr gar keine Zeit, ängstlich zu werden und ihn wegzuschicken. Er küsste sie.
Ihr Mund war weich und süß. Er zog sie an sich und küsste sie weiter. Sie
gestikulierte hilflos mit den Händen, doch dann legte sie sie ihm auf die Brust
und nach einer Weile begann sie, seinen Kuss zu erwidern, so unbeholfen und unerfahren,
dass ihm ganz warm ums Herz wurde. „So ist es richtig, mein Liebling“,
murmelte er. „Komm zu Ethan.“
Sie wich
zurück. „Oh Ethan, das dürfen wir nicht! Du wirst bald heiraten.“
„Ja, aber
nur, wenn du mich haben willst.“
Es dauerte
eine Zeit lang, bis sie seine Worte verinnerlicht hatte. „Du meinst
mich?“, rief sie atemlos. „Du willst mich heiraten?“
„Ja. Das
ist mein größter Wunsch, und zwar schon seit einiger Zeit“
„Mich?“
Er
lächelte. „Wenn du mich haben willst?“
„Du weißt,
dass ich sechsunddreißig bin.“
„Und ich
bin fast vierzig, und diese hübsche Sechsunddreißigjährige ist alles, was mein
Herz begehrt.“
Sie fing
wieder an zu weinen. „Noch nie im Leben hat mich jemand
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