Anne Gracie
glühenden grauen
Augen. Großer Gott, einen einzigen Augenblick lang war die Versuchung schier
überwältigend. Sie könnte ihre Vergangenheit und ihre Sorgen hinter sich lassen
und einer sicheren, angenehmen Zukunft entgegenblicken. Genau das, was Papa
für sie vorgesehen hatte.
Doch dann
würde sie sich zwischen diesem gut aussehenden Fremden und Torie entscheiden
müssen, und das konnte sie nicht. Ihr blieb keine Wahl.
Seine Miene
war ungerührt, sein Blick undeutbar. Bereute er sein spontanes Angebot bereits?
Sie jedenfalls würde es nie vergessen. Es war einfach schön zu wissen, dass
jemand ihr endlich einen Antrag gemacht hatte, auch wenn gar nicht daran zu
denken war ihn anzunehmen.
„Nein,
nein, vielen Dank. Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich fürchte, es ist
unmöglich“, sagte sie sanft.
„Ich bin
nicht freundlich“, erwiderte er mit dieser tiefen, immer noch ruhigen
Stimme.
„Ich sollte
jetzt besser gehen“, murmelte sie. „Die Kutsche hält in etwa einer Stunde
an der Kirche.“
Er sagte
nichts; nichts zu der Kutsche und nichts über sein verblüffendes Angebot. Es
war, als hätte er überhaupt nie gesprochen.
Nell ging
drei weitere Schritte, doch dann blieb sie stehen und drehte sich langsam um.
Die Frau in ihr konnte diese Sache einfach nicht auf sich beruhen lassen. „Ich
muss es wissen“, flüsterte sie. „Ich möchte Ihnen eine Frage stellen.
Werden Sie mir die Wahrheit sagen?“
Seine Augen
wurden schmal. „Ja, das werde ich.“
Sie
betrachtete eingehend sein Gesicht und nickte leicht. „Ist es wegen meines
Titels? Ich meine, ist das der Grund, warum Sie mich gefragt haben?“
„Das spielt
zum Teil vermutlich eine Rolle“, gab er zu. „Es schadet einem Mann nicht,
eine Frau mit einem Adelstitel zu haben.“
Wieder
nickte sie. „Und meine Erfahrung mit Pferden wäre wahrscheinlich auch nützlich,
nehme ich an.“
„So ist es,
das bestreite ich nicht.“
„Ich
verstehe. So in etwa habe ich mir das gedacht. Ich danke Ihnen für Ihre
Ehrlichkeit.“ Sie wandte sich erneut zum Gehen.
Er
räusperte sich. „Das sind aber nicht die einzigen Gründe, warum ich Sie gebeten
habe, meine Frau zu werden.“
Sie drehte
sich um. „Was für Gründe könnte es denn noch geben?“
Er
schluckte und machte einen unbehaglichen Eindruck.
Dumme Nell,
dachte sie. Was machte sie da? War sie etwa auf Komplimente aus? Wie
erbärmlich.
Seine
Wangen röteten sich und er schluckte erneut.
„Nein,
nein, strengen Sie sich nicht an. Ich habe es nicht so gemeint.“ Stolz
wandte sie sich ab.
Wieder
räusperte er sich. „Die Sache ist die, ich ...“ Neuerliches Schlucken.
„Sie sind wunderhübsch und ich fühle mich sehr zu Ihnen hinge...“
„Hören Sie
auf. Bitte.“ Sie hob abwehrend die Hand. „Ich möchte das nicht
hören.“ Sie konnte und wollte keine unaufrichtigen, erzwungenen
Komplimente hören, nur weil er sich aus falsch verstandener Ritterlichkeit dazu
verpflichtet fühlte.
Er starrte
sie an. „Aber Sie haben mich doch gefragt! Ich dachte, Frauen hören gern solche
Dinge.“
„Nicht,
wenn sie nicht ehrlich gemeint sind. Und wir wissen beide, dass sie das nicht
sind.“
Er runzelte
unmutig die Stirn. „Nennen Sie mich etwa einen Lügner?“
Sie zuckte
kläglich mit den Schultern und murmelte etwas wie „Wem der Schuh passt
...“ .
„Nein,
verdammt, er passt nicht.“ Er stellte sich so dicht vor sie, dass sie
seinen Duft nach Leder, Pferden und teurem Rasierwasser wahrnehmen konnte.
Tapfer
behauptete sie ihre Stellung. Sie hatte das herausgefordert, also musste sie
sich auch den Konsequenzen stellen.
Seine
grauen Augen funkelten, als er mit leiser, aber eindringlicher Stimme
fortfuhr. „Ich bin kein Mann großer Worte. Man hat mich sogar
schon mit einem wortkargen
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