Anne Gracie
würde uns beide ruinieren. Ich bin die Tochter eines Earls und Sie ...
Sie sind ...“ Sie verstummte, weil sie nicht genau wusste, was sie sagen
sollte.
„Ich bin
der uneheliche Sohn eines Earls und einer Dienstmagd“, vollendete er
ihren Satz.“
Sie sah ihn
überrascht an. „Wirklich? Das wusste ich nicht. Ich dachte nur, Sie gehörten
nicht der gehobenen Londoner Gesellschaft an“, erwiderte sie. „Doch wenn
das so ist, dann würde alles noch viel schlimmer. Natürlich würde man über mich
lästern, aber dann fiele das Ganze auf Sie zurück. Man würde es missbilligen,
wenn jemand, den sie für einen Emporkömmling halten, eine adelige Dame für
eine niedere Tätigkeit einstellt.“
Er
schnaubte. „Es ist mir gleichgültig, was die Leute denken.“
Sie legte
ihm die Hand auf den Arm. „Das sollte es aber nicht sein“, widersprach sie
ernst. „Sie scheinen doch ein ehrgeiziger Mann zu sein.“ Er bestätigte
ihre Vermutung mit einem leichten Kopfnicken. „Nun, wenn Sie Araberrennpferde
züchten und ausbilden wollen, müssen Sie sich an die Gentlemen der gehobenen
Londoner Gesellschaft halten – sie sind diejenigen, die auf den Rennplätzen das
Sagen haben und die Pferde kaufen. Wenn Sie mich einstellen, ist das für
ebendiese Gentlemen wie eine Beleidigung ihres Standes. Sie würden Sie dafür hassen. Sie würden sich weigern, mit Ihnen Geschäfte zu machen, und Sie damit
höflich und unauffällig aus der Gesellschaft verstoßen.“
Er zuckte
die Achseln. „Nicht, wenn Sie mich heiraten.“ Erschrocken lief? Nell ihre
Hand sinken und trat zwei Schritte zurück. „Sie heiraten?“ Sie traute
ihren Ohren nicht.
„Warum
nicht?“
Einen
Moment lang starrte sie ihn wie vom Donner gerührt an. Warum nicht? „Ich
habe Sie doch eben erst kennengelernt! Sie können mich nicht heiraten
wollen.“
Er sah sie
nur an, als wollte er wieder sagen: Warum nicht?
Sie spürte,
wie ihr die Glut in die Wangen schoss. Ihr erster Heiratsantrag – und
wahrscheinlich der einzige, den man ihr je machen würde –, so nüchtern
formuliert wie ein geschäftliches Angebot. Sie hatte keine Ahnung, wie sie
reagieren sollte. „Sie ... Sie können mich doch unmöglich ... lieben.“ Sie
wurde rot, als sie begriff, was sie gesagt hatte. Wie linkisch! Wie töricht!
Damen ihres Standes heirateten selten aus Liebe. Es ging nur um den gesellschaftlichen
Rang, Geld und Besitz. Nicht, dass sie davon etwas zu bieten gehabt hätte.
Er sah sie
verwirrt an, als hätte sie etwas Unsinniges gesagt. „Ich habe Sie gerade erst
kennengelernt“, erinnerte er sie.
„Ich ...
ich weiß. Deshalb können Sie ja auch unmöglich ernst meinen, was Sie gerade
vorgeschlagen haben.“
„Ich meine
es ernst.“
Sie starrte
ihn an, diesen großen, stillen und selbstsicheren Mann. Ein Mann weniger Worte,
doch diese wenigen hatten die Macht, sie bis ins Mark zu erschüttern. Er wollte
sie heiraten? Der bestaussehende Mann, dem sie je begegnet war, wollte sie
heiraten, die arme, biedere Nell Freymore, die Tochter eines Spielers?
„Warum?“
„Ich glaube,
wir kämen gut miteinander aus.“
„Wissen
Sie, wie alt ich bin?“, fragte sie ihn. Es war nun so viele Jahre her,
seit sie in die Gesellschaft eingeführt worden war, und es hatte sich nie ein
Heiratskandidat gefunden.
„So um die
fünfundzwanzig, schätze ich.“
„Ich bin
siebenundzwanzig.“
Er zuckte
die Achseln. „Ich bin neunundzwanzig. Spielt das eine Rolle?“
Sie war
fassungslos; er schien es einfach nicht zu verstehen. Einen Moment lang zog
sie sein Angebot tatsächlich in Betracht. Die dünne, farblose Nell Freymore,
für die sich jahrelang niemand interessiert hatte, heiratete diesen
atemberaubend attraktiven Mann mit der tiefen Stimme und den
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