Anne Gracie
Baumstumpf verglichen. Es fällt mir nicht leicht zu
gestehen, dass ich mich zu Ihnen hingezogen fühle, erst recht nicht, nachdem
Sie mir einen Korb gegeben haben, aber ich habe Ihnen Aufrichtigkeit
versprochen. Und genau die haben Sie von mir bekommen – mit jedem einzelnen
Wort.“
Nell konnte
ihm nicht in die Augen sehen. Sie wollte ihm so gern glauben – welche Frau
hätte das nicht gewollt? Aber sie gab sich keinerlei Illusionen über ihr
Aussehen hin. Genau das hatte man ihr im Leben immer wieder unter die Nase
gerieben.
Er war
einfach wieder freundlich gewesen und hatte geglaubt, sie wollte
Komplimente hören – selbst unaufrichtige –, und dann hatte sie ihn bloßgestellt
und ihn der Lüge bezichtigt. Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Lange Zeit
schwiegen beide. „Wenn mich ein Mann als Lügner bezeichnet hätte, so wie Sie
eben, dann hätte ich ihn niedergeschlagen.“
Sie zuckte
zusammen.
„Sie mögen
mich für einen Schuft halten, aber ich habe noch nie einer Frau etwas zuleide
getan, und ich habe auch nicht vor, jetzt damit anzufangen“, fuhr er sanft
fort. „Aber da Sie sich weigern, mir zu glauben, und ich mich weigere, von
Ihnen für einen Lügner gehalten zu werden, muss ich auf das einfachste Mittel
zurückgreifen, um Sie davon zu überzeugen, dass ich Sie in der Tat über alle
Maßen anziehend finde.“
Sie sah ihn
verwirrt an.
„Lady
Helen, verzeihen Sie mir, aber ...“
Zu Nells
Erschrecken küsste er sie. Ganz selbstverständlich umfasste er ihre Taille und
küsste sie fest auf den Mund. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Sie
hatte vor Schreck den Mund geöffnet und spürte jetzt seinen warmen, männlichen
Geschmack, und ein glühendes Gefühl durchzuckte ihren ganzen Körper. Sie machte
keine Anstalten, sich zu wehren, sie dachte nicht einmal daran. Sie war zu
schockiert, zu ... überrascht von den Empfindungen, die seine Annäherung in ihr
auslöste. Unwillkürlich legte sie ihm eine Hand leicht auf die Schulter,
während sich die andere noch zwischen ihren Körpern befand. Nur ganz
allmählich wurde Nell bewusst, was sich da gegen ihren Handrücken drückte, und
ihr wurde schwindelig, als sie merkte, wie groß sein Verlangen nach ihr war.
Sie hätte
ihn wegstoßen, sich wehren, irgendetwas tun müssen, aber ihr Körper schien
keinen eigenen Willen mehr zu haben. Sein Aroma, seine Wärme und seine Stärke
durchströmten sie und sie hatte keine Kraft mehr, ihm zu widerstehen. Und die
ganze Zeit über konnte sie seine Erregung fühlen, die von Sekunde zu Sekunde
zunahm.
Es dauerte
nicht lange – nicht länger als eine Minute, dachte sie im Nachhinein –, doch in
dem Moment kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, bis er sie schließlich losließ
und einen Schritt zurückwich.
Sie waren
beide völlig außer Atem.
Nell
versuchte, etwas zu sagen, aber sie fand keine Worte.
„Verzeihen
Sie mir“, meinte er schließlich steif. „Ich weiß, ich hätte Sie nicht
küssen dürfen, nicht nach so kurzer Bekanntschaft. Aber Sie sollten wissen,
dass das, was ich Ihnen gesagt habe, keine Lüge war. Kein einziges Wort davon.
Mir ist klar, dass Ihnen mein Antrag nicht willkommen ist ... trotzdem wollte
ich, dass Sie wissen, wie ich für Sie empfinde.“ Er verneigte sich
unbeholfen.
Wissen? Mehr als das, ihr ganzer Körper
brannte, so aufgewühlt war sie von dieser Erkenntnis. Er fand sie anziehend.
Über alle Maßen anziehend, hatte er gesagt, und sein Körper hatte den Beweis
dafür geliefert ...
Kein Mann
hatte sie je anziehend gefunden. Das einzige Mal, dass sie die Aufmerksamkeit
eines Mannes erregt hatte, hatte ganz andere Gründe gehabt ...
Er hatte
ihr keine falschen Versprechungen gemacht – Gott, als ob sie noch an
Versprechen geglaubt hätte.
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