Anne Gracie
hatte.
Noch nie
hatte Harry etwas dermaßen erregt, verdammt noch mal.
Nein, er
wusste genau, was für ein Mädchen er haben wollte: eine ruhige junge Frau aus
der Mittelschicht mit guter Mitgift, die ihn respektierte und ihn nicht zum
Narren machte. Pflichtschuldig würde sie ihm Zugang zu ihrem Bett gewähren und
damit hätte sich dieses Problem für ihn erledigt.
Und ihre
Augen und ihr Mund würden einen Mann nicht um den Verstand bringen. Oder ihn
dazu veranlassen, Dinge hervorzusprudeln, die er eigentlich gar nicht sagen
wollte.
„Da unten
im Tal ist ein Dorf“, unterbrach Ethan Harrys Grübeleien. „Machen wir
dort halt für ein Mittagessen?“
Sie waren mit
einem großen Korb voller Wegzehrung aufgebrochen – mit Empfehlung von Harrys
Pflegemutter Mrs Barrow –, aber sie hatten sich Zeit auf ihrer Reise gelassen,
und inzwischen war der Korb leer.
„Nein“,
entschied Harry. „Schicke einen der Männer ins Dorf, er soll ein paar Pasteten
oder Brot, Käse und Ale kaufen. Wir werden vor Sonnenuntergang in Firmin Court
sein.“ Er hatte bewusst abgelegene Nebenstraßen gewählt, damit niemand
darauf aufmerksam wurde, dass sie so viele wertvolle Pferde mit sich führten.
Es wäre
zwar noch sicherer gewesen, schneller unterwegs zu sein, aber er hatte sich
doch für ein gemächlicheres Tempo entschieden. Er hoffte darauf, ein paar der
Pferde in den nächsten Monaten bei Rennen antreten zu lassen, daher wollte er
sie nicht unnötig strapazieren.
Von seinem
Aussichtspunkt auf dem Hügel aus beobachtete er, wie die Dorfbewohner ihren
Tätigkeiten nachgingen. Hinter der Kirche hatte ein Liebespaar ein heimliches
Stelldichein; ein kräftiger junger Mann und ein junges, hübsches Mädchen.
Harry sah ihnen eine Weile zu, wie sie sich liebkosten, küssten und einander
verliebte Worte zuflüsterten, dann wandte er den Blick ab.
Junger
Narr. Ließ sich von der Liebe einwickeln. Hoffentlich überlebte er das.
Sie
können mich doch unmöglich ... lieben. Und ihre sinnliche Unterlippe hatte dabei gebebt,
sodass ihn plötzlich eine glühende Leidenschaft durchzuckt hatte. Allein bei
der Erinnerung reagierte sein Körper.
Natürlich
konnte er sie nicht lieben – er hatte sie doch gerade erst kennengelernt und
glaubte ohnehin nicht mehr an die Liebe, schon gar nicht an diesen Unsinn von
der Liebe auf den ersten Blick.
Nein, was
er empfand, war Begehren, Lust, wie immer man das auch nennen mochte. Diese
Lust packte ihn jedes Mal, wenn sie in der Nähe war. Aber aus Lust heiratete
man nicht; man nahm sich eine Geliebte.
Harry
betrachtete die mit Stroh gedeckten Dächer des Dorfs. Er musste unbedingt
einmal wieder in die Stadt fahren, und das bald, wenn seine lange Abstinenz
solche Folgen hatte.
Aber nicht
nach London. Lady Helen musste inzwischen in London sein. Als Gesellschaftsdame
– was für eine lächerliche Beschäftigung.
Finster vor
sich hin grübelnd ritt er weiter. Eine Gesellschafterin für eine Dame war das
Gleiche wie ... ein Hund für einen Mann. Das war doch keine Tätigkeit für eine
erwachsene Frau. Sie sollte verheiratet sein und viele Kinder haben, die sie
beschäftigten, und nicht versuchen, irgendeine reiche, gelangweilte alte Dame
zu unterhalten.
Nein, er
würde nicht nach London fahren, sondern lieber seiner Tante schreiben und sie
daran erinnern, dass sie immer noch keine infrage kommende Ehefrau für ihn
gefunden hatte. Er musste sesshaft werden und sein eigenes Leben aufbauen. Er
brauchte Erlösung von dieser Anspannung, die ihn ständig im Griff hatte. In
die Stadt zu fahren, nahm zu viel wertvolle Zeit in Anspruch; sich eine
Geliebte auf dem Land zu suchen, kam erst recht nicht infrage.
Auf
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