Anne Gracie
hätte, selbst wenn er es unbedingt
wollte. Nell wollte es nicht. Sie wollte ihr Baby, ihre heiß geliebte Tochter,
ihre Torie.
„Wenn es
Ihnen nichts ausmacht, Miss?“ Einer der Männer in der Kutsche – der mit
dem Nelkengeruch – wandte sich ihr etwas verlegen zu.
Nell
schreckte hoch. Sie hatte ganz vergessen, wo sie war; alle anderen in der
Kutsche starrten sie an.
Eine der
Frauen ihr gegenüber beugte sich nach vorn und tätschelte ihr Knie. „Sie haben
sich immer vor- und zurückgewiegt, als wollten Sie ein Kind zum Einschlafen
bringen, nur ist da gar kein Kind. Das hat den Gentlemen Unbehagen
bereitet.“
Nell senkte
den Blick. „Das tut mir leid“, gab sie mit erstickter Stimme zurück. „Es
wird nicht wieder vorkommen.“
Was um
alles in der Welt
hatte er sich nur dabei gedacht? Einem Mädchen einen Heiratsantrag zu machen,
das er erst seit ein paar Stunden kannte – noch dazu der Tochter eines Earls!
Harry ritt
langsam auf Sabre, seinem Lieblingspferd, und führte eine ganze Reihe anderer
Pferde mit sich. Hinter ihm ritten Ethan und mehrere Reitknechte, auch sie
führten Pferde. Harry zog mit ihnen um, vom Gutshof seines Bruders an der Küste
auf seinen eigenen Besitz.
Nach den
Verhandlungen um Firmin Court war Pedlington erschöpft und enttäuscht gewesen,
während Harry insgeheim gejubelt hatte. Er hatte sich die Bücher des Besitzes
vorgenommen und stundenlang mit finsterer Miene darüber gebrütet. Pedlington
hatte ihn beobachtet und seine Miene war immer verdrossener geworden.
Außerdem
hatte er dem Anwalt Fragen gestellt, die diesen sichtlich eingeschüchtert
hatten, wie zum Beispiel: „Wie viele einheimische Familien haben Hunger leiden
müssen, seit Ihre Kanzlei den Besitz übernommen hat?“
Zum Schluss
hatte Harry so schonungslos auf die vielen gravierenden Mängel des Anwesens
hingewiesen, dass der Anwalt sogar seine Überraschung darüber zum Ausdruck
brachte, dass Harry einen so offensichtlich heruntergekommenen Besitz tatsächlich
erwerben wollte.
Aber
Pedlington war ein Stadtmensch und als solcher empfand er abblätternde Farbe
und verblichene Tapeten als einen Makel. Er sah den Besitz nicht mit den Augen
eines Landbewohners. Firmin Court war sträflich vernachlässigt worden, doch im
Grunde war es genau das, was Harry sich immer gewünscht hatte.
Und nun
gehörte es ihm. Sein eigenes Zuhause.
Der erste
Teil seines Traums war wahr geworden, im Grunde hätte er überglücklich sein
müssen. Nun, das war er ja auch, er konnte nur diesen unglückseligen Moment des
Irrsinns nicht vergessen. Was war bloß in ihn gefahren?
Sie
könnten mich heiraten.
Narr! Er
hatte nicht nachgedacht, das war das Problem. Zumindest nicht mit seinem
Gehirn.
Es war
einfach zu lange her, seit er mit einer Frau zusammen gewesen war. Deshalb
hatte er sich so untypisch und unüberlegt verhalten. Das war die einzige
Erklärung, die ihm einfiel.
Sein
Verstand war so umnebelt gewesen vor Verlangen nach Lady Helen Freymore, dass
er ohne nachzudenken einfach drauflos geredet hatte.
Gott sei
Dank hatte sie ihn abgewiesen.
Natürlich
hatte sie das. Sie war die Tochter eines Earls, eine Dame. Damen der gehobenen
Gesellschaft waren tabu für Leute wie Harry Morant. Im Moment mochte sie zwar
das Glück verlassen haben, dennoch verfügte sie immer noch über diesen
angeborenen Instinkt zu herrschen – er erinnerte sich nur zu gut, wie stocksteif
sie geworden war, als Pedlington sich ihr gegenüber zu viel herausgenommen
hatte. Kerzengerade hatte sie sich aufgerichtet und diese sanften Augen hatten
plötzlich Funken gesprüht, als sie den Mann kühl und bestimmt in seine
Schranken gewiesen
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