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Anne Gracie

Anne Gracie

Titel: Anne Gracie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zarte Küsse der Sehnsucht
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dem
Land war es nicht wie in Lon­don, wo ge­lang­weil­te ade­li­ge Da­men sich einen
amou­rö­sen Zeit­ver­treib such­ten und je­der blind die Au­gen da­vor ver­schloss. In
Lon­don konn­te ein Mann in ei­nem dis­kre­ten Haus, von dem nie­mand et­was wuss­te,
ei­ne Ge­lieb­te aus­hal­ten und sie dort be­su­chen, wann im­mer er wünsch­te.
    Auf dem
Land wuss­te je­der al­les vom an­de­ren.
    Es ging ihm
gar nicht so sehr um Ehr­bar­keit; ihm war es gleich­gül­tig, was die Leu­te über
ihn dach­ten. Zu­mal oh­ne­hin nur die we­nigs­ten dem Mann einen Vor­wurf mach­ten.
    Der Frau
je­doch ...
    Er hat­te
nur we­ni­ge Er­in­ne­run­gen an sei­ne leib­li­che Mut­ter, sie war ge­stor­ben, als er
noch ein klei­ner Jun­ge ge­we­sen war. Doch das Wort „Hu­re“ hat­te er schon
als Klein­kind ge­lernt, denn das hat­ten die Leu­te auf der Stra­ße ihr im­mer
wie­der nach­ge­ru­fen, manch­mal laut und of­fen, manch­mal lei­se hin­ter ih­rem
Rücken. Die Hu­re des Earls und ihr klei­ner Ba­stard ... Da­mit war Har­ry ge­meint.
    Vom Ge­setz
her war er nicht ein­mal ein rich­ti­ger Ba­stard. Sein leib­li­cher Va­ter hat­te
sei­ner schwan­ge­ren Be­diens­te­ten ei­ne groß­zü­gi­ge Mit­gift zu­kom­men las­sen und
der Dorf­schmied, Al­fred Mo­rant, hat­te sie lan­ge vor Har­rys Ge­burt ge­hei­ra­tet.
    Den­noch
nann­ten die Leu­te Har­ry einen Ba­stard.
    Und wenn
der Schmied – Har­ry sprach nie sei­nen Na­men aus – zu viel ge­trun­ken hat­te, was
oft der Fall ge­we­sen war, dann nann­te er sei­ne hüb­sche blon­de Frau eben­falls „Hu­re“
und ramm­te sei­ne großen, der­ben Fäus­te in ihr zar­tes wei­ches Fleisch.
    So­bald ihr
Mann zu trin­ken an­fing, sperr­te Har­rys Mut­ter den Klei­nen weg, da­mit ihm die
ge­bro­che­nen Kno­chen und Bluter­güs­se er­spart blie­ben, die sie er­lei­den muss­te.
Der Schmied hat­te ein­mal durch einen bös­ar­ti­gen Tritt Har­rys Hüf­te ge­bro­chen,
wes­halb er bis zum heu­ti­gen Tag hin­k­te. Nach die­sem Vor­fall hat­te sei­ne Mut­ter
al­le Prü­gel auf sich ge­nom­men.
    Es ist nur,
weil Al­fred mich liebt, pfleg­te Ma­ma Har­ry hin­ter­her wei­nend zu be­teu­ern.
Al­fred hat­te sie schon im­mer ge­wollt und ge­liebt, er war nur wü­tend, weil der
Earl sie zu­erst ge­habt hat­te ... Aber was hät­te sie tun kön­nen? Er war nun
ein­mal der Earl.
    Ma­ma war
ge­stor­ben, als Har­ry fünf oder sechs ge­we­sen war. Ein Faust­hieb zu viel, und
das un­ge­bo­re­ne Kind war mit ihr ge­stor­ben. „Wes­sen Kind ist es die­ses Mal,
Hu­re?“, hat­te er sie an­ge­brüllt, ob­wohl Ma­ma nie einen an­de­ren Mann auch
nur an­blick­te. Sie hat­te nicht ein­mal mehr das Haus ver­las­sen – sie konn­te es
nicht er­tra­gen, dass die Dorf­be­woh­ner ih­re Bluter­güs­se be­merk­ten und sie
an­sa­hen, als hät­te sie je­den ein­zel­nen da­von be­stimmt ver­dient.
    Nach dem
Tod sei­ner Mut­ter war Har­rys Le­ben viel schwe­rer ge­wor­den. Der Schmied hat­te
ihn aus dem Haus ge­wor­fen, und Har­ry hat­te wie ein streu­nen­der Hund von den
Es­sens­res­ten der Dorf­be­woh­ner ge­lebt.
    Dann hat­te
ei­nes Ta­ges Bar­row, der Stall­bur­sche ei­ner sehr vor­neh­men Da­me, ein Pferd zum
Be­schla­gen ge­bracht und da­bei Har­ry hin­ter der Schmie­de ent­deckt. Der Jun­ge war
vol­ler blau­er Fle­cken, halb ver­hun­gert und zit­ter­te vor Angst und Käl­te. Er
hat­te ihn mit nach Hau­se ge­nom­men, so­zu­sa­gen als Ge­schenk für Mrs Bar­row. Die
kin­der­lo­se, müt­ter­li­che Frau hat­te nur einen Blick auf Har­ry ge­wor­fen und ihn
dann so­fort in ihr war­mes Herz ge­schlos­sen.
    Die Bar­rows
ar­bei­te­ten für La­dy Ger­tru­de, die un­ver­hei­ra­te­te, ty­ran­ni­sche Tan­te des Earls.
Die stren­ge Da­me hat­te Har­ry nur ein­mal an­ge­se­hen und so­fort die
Bluts­ver­wandt­schaft er­kannt. Zu­sam­men mit sei­nem Halb­bru­der Ga­bri­el hat­te sie
ihn zu ei­nem Gent­le­man er­zo­gen und ihn spä­ter in ih­rem Tes­ta­ment be­dacht.
    Den­noch
ver­gaß Har­ry nie sei­ne ers­ten schlim­men Le­bens­jah­re ...
    Er wür­de
sich nie­mals ein Mäd­chen vom Land zur Ge­lieb­ten neh­men. Für ihn kam nur ei­ne
Hei­rat in­fra­ge.

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