Anne Gracie
davor vollkommen frei.
In London
wollte sie diese kostbaren Stunden nutzen, um Torie zu suchen. Es gab nicht
viele Arbeitsverhältnisse, die ihr so viel Freiheit boten, deshalb musste sie
diese Stelle unbedingt behalten. Sie durfte sich diese Chance, ihre Tochter zu
finden, nicht durch einen wohlmeinenden Mann nehmen lassen, der keine Ahnung
hatte, wie die Dinge wirklich standen.
Harrys sämtliche Sinne waren plötzlich
geschärft, als Nell wieder leise in die Trinkhalle schlüpfte. Ihr Gesicht war
leicht gerötet und ihre Brust
hob und senkte sich schnell; offensichtlich war sie gerannt. Beim Anblick
ihres Busens runzelte er überrascht die Stirn. Sie war ihm vorher in jenem
Bereich eher flach vorgekommen, wie hatte er nur diese bezaubernden Rundungen
übersehen können?
Er spürte,
wie sein Körper reagierte, und riss sich zusammen. Er befand sich in der
Trinkhalle, um Himmels willen, in Gesellschaft seiner Tante!
„Hier, mein
Junge, trink etwas von dem Wasser.“ Sie drückte ihm ein Glas in die Hand
und ohne nachzudenken trank er einen großen Schluck davon.
„Pfui
Teufel!“ Es gelang ihm gerade noch, die faulig schmeckende Flüssigkeit
nicht spontan wieder auszuspucken. „Das schmeckt ja furchtbar.“
Mit einem
zufriedenen Lächeln nahm ihm Tante Maude das Glas wieder ab. „Ich weiß, und du
hast jeden einzelnen Tropfen davon verdient, weil ich mich deinetwegen mit all
diesen langweiligen Neureichen abgeben musste. Ich bin jedoch geneigt, dir zu
vergeben ...“
„Ach
ja?“
„Ja, denn
das hier verspricht, sehr unterhaltsam zu werden, ganz gleich, wie die Sache
ausgeht. Ist dir aufgefallen, dass sie nicht einmal in unsere Richtung geblickt
hat? Das ist äußerst ungewöhnlich. Glaubst du, sie macht das
absichtlich?“ Sie lächelte Harry arglos an.
Er warf
seiner Tante einen finsteren Blick zu. „Das wird ihr nichts nützen, denn ich
habe fest vor, mit ihr zu reden.“
„Und du
glaubst wahrscheinlich, du könntest einfach so zu ihr hinübergehen und ein
Gespräch mit ihr anfangen. Als ob die alte Furie das zulassen würde!“
Wieder sah
er sie kühl an. „Ich habe natürlich einen Plan.“
„Ach,
tatsächlich?“
„Ja, es ist
einfach eine Frage der Strategie. Du und deine Freundin Lady Lattimer, ihr
werdet den Feind in ein Gespräch verwickeln.“
„Werden wir
das? Wie reizend. Und worüber sollen wir reden?“
„Das weiß ich doch nicht.
Über irgendetwas, worüber Frauen gern heimlich tuscheln.“
„Was weißt
du denn über die heimlichen Tuscheleien von Frauen?“
„Nur sehr
wenig, zum Glück, aber auf diese Weise hättest du einen Vorwand, Nell aus eurer
Runde zu verbannen ...“
„Nell?“
„Lady
Helen.“ Er versuchte, das Lächeln seiner Tante zu ignorieren. Ihr machte
das Ganze auch noch Spaß, verdammt noch mal! „Ihr
müsst der Frau klarmachen, dass ihr ein vertrauliches Gespräch mit ihr – und
nur mit ihr allein – wünscht, und aus diesem Grund wirst du Lady Helen und
mich zum anderen Ende der Halle schicken. Den Rest überlass mir.“
Erneut
tätschelte sie seine Wange. „Ausgezeichnet, mein lieber Junge. Jetzt verstehe
ich, warum du so ein hervorragender Soldat warst. Nur eins noch.“
„Ja?“,
fragte er ungeduldig, er konnte es kaum noch erwarten anzufangen.
„Sei
vorsichtig. Madame Beasley hat eine Schwäche für dich, in den letzten fünfzehn
Minuten hat sie dich angestarrt wie eine Katze den
Kanarienvogel. Wenn sie merkt, dass du dich für Lady Helen interessierst, wird
sie sich wie eine Giftschlange auf das arme Mädchen stürzen. Also sei diskret,
mein Junge.“
„Ich bin
immer diskret“, stellte Harry kühl fest.
Seine Tante
erhob sich und rüttelte ihre Freundin wach. „Komm, Lizzie, wir wollen uns mit
Madame Beasley
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