Anne Gracie
ein ungehobelter Ire, und
was ich über den Adel und die Mittelschicht weiß, passt in einen Fingerhut,
doch ich könnte mir denken, dass ein Mädchen, das eine Zweckehe führen soll,
sich in ein paar Jahren vermutlich eher anderweitig umsieht als eins, das aus
Liebe geheiratet hat.“
„Ich
heirate nicht aus Liebe. Das ist ohnehin alles nur Unsinn.“
Ethan warf
ihm einen abschätzenden Blick zu. „Ach ja, wenn ich mich recht erinnere, hab
ich so was doch schon mal gehört. Lady Andrea oder Anthea – so hieß sie doch,
nicht wahr?“
„Ich war
damals noch ein dummer Junge“, gab Harry knapp zurück. „Solchen Unfug habe
ich hinter mir, ich bin jetzt ein nüchtern denkender Mensch.“
„Ach so,
ja, natürlich bist du das“, stimmte Ethan zu. „Deswegen sind deine Haare
jetzt auch tropfnass und deine Hände halb erfroren.“ Harry sah ihn scharf
an, doch ehe ihm eine passende Antwort einfallen konnte, sagte Ethan bereits:
„Hier ist die Abzweigung, also verabschiede ich mich jetzt von dir. Viel Glück
in Bath bei deiner Tante und den Mittelschichtmädchen. Ich werde mir dieses
Pferd einmal ansehen und dich auch wissen lassen, wenn ich unterwegs auf ein
Anwesen stoße, das es sich eventuell zu kaufen lohnt.“ Ethan winkte ihm
noch einmal zu und ritt davon.
Nell
Freymore schob den
Männerhut ein Stück nach hinten und sah dem gut aussehenden Fremden nach, der
davonritt, um seinen Freund einzuholen. Was für ein Mann verschenkte seinen
eigenen Hut und seine Handschuhe an eine Unbekannte, die hinten auf einem
Fuhrwerk saß? Einer völlig verschmutzten Unbekannten noch dazu?
Er war ein
Pferdemensch, das merkte sie allein schon an seinem prachtvollen schwarzen Vollblut,
das so einen stolzen Gang hatte; aber auch an seiner Art zu reiten, mit dieser
mühelosen Anmut, die man niemals erlernen konnte, so als wäre er auf einem
Pferderücken groß geworden. Auch Papa war früher so geritten.
Er war ihr
schon aufgefallen, bevor er an das Fuhrwerk herangekommen war und sie sein
Gesicht hatte sehen können. Sie hatte sein Pferd beobachtet. Pferde zogen ihre
Blicke immer magisch an, sie konnte nichts dagegen tun. Sowohl sein Pferd als
auch das seines Begleiters waren außergewöhnliche Tiere; der Rappe kraftvoll
mit ausgreifendem, anmutigen Gang und der Rötlichgraue auffallend hässlich,
aber ebenfalls sehr kräftig. Beide Pferde sahen aus, als wären sie sehr
schnell.
Ach, wie
sehr wünschte sie sich eins dieser Tiere! Pferde legten die vielen Meilen so
mühelos zurück. Dagegen war es eine Qual, auf dem schwerfälligen Fuhrwerk zu
sitzen und sich im Schneckentempo fortzubewegen. Dafür sprach nur, dass es
genauso schnell war, wie sie laufen konnte, sie aber bequemer vorankam. Sie war
so entsetzlich müde gewesen, als der Kutscher ihr die Mitfahrgelegenheit
angeboten hatte. Und sie war ihm auch sehr dankbar, aber ach, auf einem
schnellen Pferd reiten zu können, das wäre wunderbar ...
Sie hatte
die beiden Männer beobachtet und beinahe gehofft, einer von ihnen würde sich in
Luft auflösen, sodass ein Pferd für Nell übrig bliebe, auf dem sie
davongaloppieren könnte. An solche Fantasien klammerte sie sich in diesen
Tagen und träumte davon, ihr Leben wäre ein anderes. Sie wusste, das war töricht,
aber manchmal hielten Fantasien Hoffnungen am Leben.
Und das
brauchte sie mehr als alles andere.
Als die
Reiter näher kamen, ertappte sie sich dabei, dass ihr Blick an dem größeren
hängen blieb. Er hatte irgendetwas an sich. Sein Freund redete und lächelte
beim Reiten, während er ganz still war, als wäre er in seine eigenen Gedanken
versunken. In sich gekehrt.
Sie war
sich nicht sicher, wann sie gemerkt hatte, dass er sie ebenfalls beobachtete.
Er war noch ein ganzes
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