Anne Gracie
halsbrecherischem Tempo über die
Hügelkette.
Tante Maude
irrte sich bezüglich der Gründe, warum er Nell heiraten wollte. Er wollte sie
trotz, nicht wegen ihres Titels. Dessen war er sich sicher ... fast.
Aus dem Augenwinkel nahm er eine
Bewegung wahr. Eine kleine Gestalt mit einem braunen Hut lief mit zügigen
Schritten einen Pfad zwischen einer Trockensteinmauer und einem kleinen Wäldchen
entlang. Der Hut kam ihm irgendwie bekannt vor. Nell hatte so einen getragen,
als sie in die Trinkhalle gekommen war. Er stand ihr überhaupt nicht.
Er ritt
näher heran. „Guten Tag, Lady Helen!“, rief er.
Sie blieb
stehen und drehte sich um. „Mr Morant. Verfolgen Sie mich etwa?“, fragte
sie beinahe schroff.
Er runzelte
die Stirn. „Nein. Ich habe einen Ausritt gemacht, um frische Luft zu schnappen.
Ich nehme an, Sie gehen aus demselben Grund hier spazieren.“
„Das
stimmt.“ Sie wollte weitergehen.
„Können wir
uns nicht einen Moment unterhalten?“
Sie
zögerte. „Das geht nicht, ich habe nur eine Stunde frei und muss bald wieder
zurück sein.“
„Darf ich
Sie ein Stück begleiten?“
„Ja“,
sagte sie nach kurzem Nachdenken. „Aber nur, wenn Sie versprechen, mir nicht
erneut einen Antrag zu machen – oder sonst irgendetwas zu tun, das mich zum
Erröten bringt.“
Er
lächelte. „Falls Sie damit meinen, dass ich Sie wieder küssen könnte, darf ich
Sie daran erinnern, dass sich eine Mauer zwischen uns befindet.“
Sie wurde
nun doch rot. „Ich weiß, sonst hätte ich gar nicht erst zugestimmt. Ich lasse
nur eine ganz allgemeine Konversation zu, nichts anderes.“
„Ich gebe
Ihnen mein Wort.“ Er schwang sich aus dem Sattel. „Wir gehen spazieren,
unterhalten uns über ganz allgemeine Dinge, und Sabre bekommt seine
wahrscheinlich letzte Ration frisches Gras, bevor der Winter kommt.“
Sie atmete
tief ein. „Die Luft hier ist so frisch und rein, nicht wahr?“ Sie ging ein
paar Schritte weiter und fügte hinzu: „Vielleicht ist es für eine ganze Weile
die letzte frische Luft für mich. Wir reisen morgen nach London.“
„Morgen
schon?“, fragte er erschrocken. „Ich dachte, Sie blieben noch zwei
weitere Tage hier!“
„Mrs
Beasley langweilt sich in Bath. Sie glaubt, das abwechslungsreiche Leben in
London sei eher nach ihrem Geschmack.“
Ihrem
Tonfall nach schien sie von der Großstadt genauso viel zu halten wie er. „Mögen
Sie London nicht?“, erkundigte er sich beiläufig.
Sie sah ihn
aus schmalen Augen an, als wollte sie ihn davor warnen, wieder verbotene Themen
anzuschneiden. „Ich erinnere mich nur an den Londoner Nebel, damals bei meinem
Debüt, das ist alles.“
„Ich hasse
London“, bekannte er. „Ich fahre nur hin, wenn es sich überhaupt nicht
vermeiden lässt. Ich kann dort nicht atmen.“
Sie
antwortete nicht, sondern lehnte sich über die niedrige Mauer und beobachtete
Sabre beim Grasfressen. Harry entging der sehnsüchtige Ausdruck nicht, der
über ihr Gesicht huschte. „Wie gern würde ich nur einmal im Galopp über die
Felder reiten“, sagte sie.
„Ich könnte
Sie mitnehmen, wenn Sie möchten.“
Sie verzog
das Gesicht. „Vor Ihnen zusammengebündelt wie ein Paket, oder hinter Ihnen wie
ein Gepäckstück? Ein netter Einfall, aber nein, vielen Dank.“
Er hielt
ihr die Zügel hin. „Dann reiten Sie ihn allein. Ich bin mir sicher, dass Sie
das können.“
Sie lachte.
„Auf diesem Sattel? Mit diesem Rock? Dabei würde ich wohl ungehörig viel Bein
zeigen.“
Sein Mund
wurde ganz trocken bei diesem Gedanken. „Sie sind also schon einmal im
Herrensattel geritten?“
„Als ich
noch ein wildes, ungebärdiges junges Mädchen war“, gab sie lachend und mit
gespielt schuldbewusster Miene zu. „Ich hatte einen Rock, der eigens dafür
angefertigt worden war,
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