Anne Gracie
sie,
anstatt in weibliche Hysterie zu verfallen, ganz
aufgeregt und begeistert gewesen. Wie hatte sie ihn doch gleich genannt?
Irgendetwas mit Loch ... Schottisch, nicht irisch. Lochinvar, genau.
Nachdem er
sie dann endlich in Sicherheit gebracht hatte, war ihr nichts Besseres
eingefallen, als wieder zurückzukommen, bewaffnet mit einem Spaten, um ihm
beizustehen.
Und da
hatte es für ihn angefangen. So ein kleines, zartes Geschöpf; ihre Augen
hatten Funken gesprüht, ihre Wangen waren ganz rosig gewesen und aus ihrem
adretten Haarknoten hatten sich die Strähnen gelöst. Sie war bereit, ihn vor
denselben Männern, die sie als Geisel genommen hatten, zu verteidigen – ihn,
einen Mann, der fast doppelt so groß war wie sie. Eine kleine Löwendame. An
jenem Tag war sie mitten in sein Herz gestürmt– und dort geblieben.
Irgendwann
musste er herausfinden, was es mit diesem Lochinvar auf sich hatte. Aber
zuerst wollte er dieses Bild fertigstellen.
Rasch
zeichnete er das Haus, das er für sie herrichtete, mit den vom Efeu befreiten
Fenstern und den Rosen vor der Tür. Er zögerte, dann brachte er mit wenigen
zügigen Strichen die Umrisse einer Frau zu Papier, die zur Tür hinaussah, mit
einer Hand die Augen abschirmend.
Die Rosen
waren im Moment braun und kahl, doch schon im kommenden Sommer würden sie
hoffentlich blühen. Und hoffentlich stand Tibby dann dort, schirmte die Augen
mit der Hand ab und wartete darauf, dass Ethan nach Hause kam.
Im Frühjahr
wollte er nach Zindaria reisen, um sich seine nächsten sieben Pferde
auszusuchen, und dann würde er ihr die entscheidende Frage stellen. Bis dahin
mussten eben seine Briefe für ihn werben ...
Er nahm die
Feder wieder zur Hand und schrieb den Brief zu Ende.
Ich hofe
das die Dame, der ich den Hof mache, mich nicht für furchtbar dreist hält, wen
ich sie frage. Sie ist so vornehm und gebildet, villeicht guckt sie einen
Tölpel wie mich gar nicht an. Aber pofen darf ein Mann ja.
Ihr
respektvoler Diener
Ethan Delaney.
9. Kapitel
ell wurde von einem leisen Klopfen an
der Tür geweckt. Liebe Güte, sie hatte wirklich geschlafen! Sie hatte sich auf
das Bett gelegt, weil sie sonst nichts anderes zu
tun hatte – außerdem hatte sie über die Ereignisse des Vormittags nachdenken
müssen –, und war dann irgendwann eingeschlafen.
Sie
streckte sich und setzte sich auf. „Herein!“
Eine junge
Bedienstete kam mit einem Krug mit heißem Wasser ins Zimmer. Sie stellte ihn ab
und knickste. „Es tut mir leid, Sie zu stören, Lady Helen, aber ich bin Cooper.
Mr Sprotton und Miss Bragge haben mich geschickt, damit ich Ihnen helfe.
Außerdem lässt Mr Sprotton Ihnen ausrichten, dass das Mittagessen in einer
halben Stunde serviert wird.“
„Mir
helfen?“
„Ja,
Mylady. Beim Anziehen und Frisieren und solchen Dingen, weil Sie Ihre eigene
Zofe nicht mitgebracht haben.“
„Vielen
Dank, Cooper, aber ich brauche keine Zofe“, teilte Nell ihr mit, während
sie etwas von dem heißen Wasser in eine Schüssel goss. Sie hatte schon seit
Jahren keine eigene Zofe mehr gehabt; nicht mehr seit ihrem Debüt.
Das Mädchen
machte ein enttäuschtes Gesicht. „Ach so. Wie Sie wünschen, Mylady.“ Es
knickste wieder und wandte sich zum Gehen.
Nell
runzelte nachdenklich die Stirn. „Cooper?“, sagte sie, als das Mädchen
schon fast zur Tür hinaus war.
„Ja,
Mylady?“
„Welche
Arbeiten haben Sie hier sonst zu erledigen?“
„Putzen,
Staub wischen, Silber polieren – was immer Mr Sprotton mir
aufträgt, Mylady.“
Nell
verstand sofort. Durch ihre kurze Rolle als Gesellschaftsdame hatte
sie ein neues Verständnis für das Leben von Bediensteten gewonnen. Nell zu
helfen, und sei es nur für kurze Zeit, bedeutete einen Aufstieg für Cooper.
Wenn sie das
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