Anne Gracie
hervorragenden
Ruf hatte. Sie hatte – wie auch Papa – eine Vorliebe für aufwendige, überladene
Frisuren gehabt, mit Unmengen von Ringellocken, Wellen und allen möglichen
kleinen Gegenständen, die in der Frisur festgesteckt wurden.
Diese
schlichte Frisur passte so viel besser zu ihr.
„Cooper“,
entfuhr es ihr spontan, „würden Sie gern mit mir nach London kommen?“
Cooper riss
die Augen auf. „Ich, Mylady?“
„Ja, wenn
Lady Gosforth damit einverstanden ist, möchte ich, dass Sie mich für meine
Hochzeit zurechtmachen.“
„Für Ihre
Hochzeit, Mylady?“ Cooper starrte sie fassungslos an und brach in Tränen
aus.
„Aber wenn
Sie das nicht wollen, brauchen Sie natürlich nicht ...“, begann Nell
erschrocken. „Wahrscheinlich möchten Sie sich nicht von Ihrer Familie trennen
...“
„Nein,
nein, Miss ... ich meine, Mylady, sie werden sich alle für mich mit
freuen.“ Cooper tupfte mit dem Schürzenzipfel über ihre Augen.
„Entschuldigung wegen der Tränen, Mylady, es ist nur, weil es schon immer mein
Traum war, für eine feine Dame zu arbeiten und nach London zu fahren. Ich hätte
nie damit gerechnet, dass das einmal tatsächlich geschehen würde.“
„Aber
zuerst muss Lady Gosforth noch einverstanden sein“, warnte
Nell.
„Ach, das
wird sie“, meinte Cooper zuversichtlich. „Sie ist so begeistert von Ihnen,
sie wird Ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Sie sagt, Sie wären genau
das, was Mr Harry braucht. Was die Mädchen unten wohl dazu sagen werden!
Bestimmt sind sie furchtbar neidisch!“
Noch etwas
benommen wegen dieser überraschenden Einschätzung ihrer Hochzeit ging Nell
nach unten zum Mittagessen.
Als sie das
Speisezimmer betrat, sprang Harry auf, blieb wie angewurzelt stehen und
starrte sie an. Der Blick seiner rauchgrauen Augen war wie eine Berührung. Eine
Liebkosung.
Etwas
verlegen betastete sie ihre Frisur.
„Sie sehen
sehr elegant aus, meine Liebe“, stellte Lady Gosforth fest. „Ganz sicher
wird Ihnen mein Neffe auch Ihren Stuhl zurechtrücken, wenn er wieder ganz bei
sich ist.“
Harry
zuckte zusammen und hielt Nell den Stuhl, damit sie sich setzen konnte. Sie
glaubte zu spüren, wie seine Finger ihren Nacken streiften, aber er sagte
nichts und nahm ihr gegenüber Platz.
Eine
leichte Mahlzeit war bereits aufgetragen worden. Lady Gosforth sprach ein
kurzes Tischgebet und forderte sie dann auf, zuzugreifen. „Es sind alles ganz
leichte, einfache Gerichte; genau das Richtige für Menschen, die stundenlang
in einer Kutsche durchgerüttelt werden.“
Nell nahm
sich etwas von dem aufgeschnittenen Schinken, ein wenig Huhn und dazu Brot und
Butter. Sie aß sehr befangen, denn Harry Morant schien den Blick nicht von ihr
wenden zu können. Es war, als säße man mit einem halb verhungerten Wolf am
Tisch. Er verspeiste einen Berg Rühreier mit Speck, ein Geflügelpastetchen und
ein paar Marmeladentörtchen.
„Wer hat
Ihnen das Haar gemacht?“, erkundigte sich Lady Gosforth. „Es ist sehr gut
geworden.“
„Cooper“,
erwiderte Nell. „Ich wollte Sie übrigens fragen, ob Sie erlauben, dass sie mit
mir nach London kommt. Aber wenn Sie sie natürlich hier benötigen ...“
„Sie kommt
mit“, entschied Harry.
Seine Tante
sah ihn an und zog die Augenbrauen hoch.
Er runzelte
die Stirn. „Was ist?“ Er blickte zwischen Nell und seiner Tante hin und
her. „Nell möchte, dass sie mitkommt“, teilte er seiner Tante mit, als sei
das Grund genug.
Nell war
das äußerst peinlich. „Nicht, wenn Ihre Tante sie hier benötigt“, teilte
sie ihm energisch mit.
Lady
Gosforth lachte. „Nein, nein, meine Liebe, das ist vollkommen in Ordnung.
Behalten Sie das Mädchen, so lange Sie wollen.“ Sie warf Harry, der eben
mit weißen, starken Zähnen in einen
Weitere Kostenlose Bücher