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Anne in Windy Willows

Titel: Anne in Windy Willows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Das Essen begann dann damit, dass Esme vor lauter Nervosität die Gabel auf den Boden fallen ließ. Alles sprang auf - bis auf Cyrus -, denn jedermanns Nerven waren mittlerweile bis zum Zerreißen gespannt. Cyrus funkelte Esme zornig an. Dann ließ er seinen eisigen Blick reihum gleiten, bis alles erstarrte. Mrs Taylor ertappte er gerade dabei, wie sie nach der Meerrettichsoße tastete; sein Blick erinnerte sie an ihren schwachen Magen und der Appetit auf Meerrettichsoße verging ihr mit einem Schlag. Sie brachte überhaupt nichts mehr hinunter, genauso wenig Esme, aber beide versuchten angestrengt, sich nichts anmerken zu lassen. Das Essen vollzog sich in gespenstischer Stille, bis auf die kurzen Momente, als Anne und Trix in ihrer Hilflosigkeit über das Wetter sprachen. Trix flehte Anne mit Blicken an, irgendetwas zu erzählen, aber das erste Mal in ihrem Leben fiel Anne tatsächlich nichts ein. Sie spürte voll Verzweiflung, dass sie sprechen musste, aber es fielen ihr nur die irrsinnigsten Dinge ein, die sie unmöglich hätte äußern können. Waren denn alle verhext? Es war einfach unglaublich, was für einen Bann dieser schmollende, halsstarrige Mann ausübte! Anne hatte so etwas noch nie erlebt. Und er machte auch gar keinen Hehl daraus, dass er die Unbehaglichkeit, die er verbreitete, noch in vollen Zügen genoss. Was ging bloß in diesem Menschen vor? Anne hätte ihm am liebsten eine saftige Ohrfeige verpasst und ihn zur Strafe in die Ecke gestellt -er benahm sich wirklich wie ein ungezogenes Kind, trotz seiner grauen Borstenhaare und seinem störrischen Schnurrbart.
    Wenn er doch wenigstens etwas sagen würde! Nichts würde ihn so sehr strafen, als wenn man ihn mittels eines Tricks von seiner starrsinnigen Schweigsamkeit abbringen könnte. Angenommen, sie stünde jetzt auf, um mit voller Absicht die riesengroße, abscheuliche, altmodische Vase zu zertrümmern, die dort hinten auf dem Tisch stand? Anne wusste, dass keiner in der Familie diese Vase mochte, dass sich aber Cyrus Taylor natürlich weigerte, sie auf den Dachboden zu verbannen, weil sie von seiner Mutter stammte. Anne hätte keinen Augenblick gezögert, es zu tun, wenn sie sicher gewesen wäre, dass Cyrus tatsächlich lautstark explodierte. Warum Lennox Carter bloß nichts sagte? Wenn er den Anfang machen würde, könnte sie auch etwas erwidern, und vielleicht würden dann auch Trix und Pringle von ihrem Bann erlöst und es käme möglicherweise eine Unterhaltung zu Stande. Aber er saß einfach da und aß. Vielleicht hielt er es für das Beste. Vielleicht fürchtete er auch, er würde Esmes Vater noch mehr in Rage versetzen, wenn er etwas sagte. »Bitte«, nehmen Sie doch von den Gurken, Miss Shirley«, sagte Mrs Taylor jetzt mit schwacher Stimme.
    Anne dachte nach. Während sie sich von den Gurken nahm, beugte sie sich dann gleichzeitig zu Dr. Carter vor, blickte ihm vertraulich in die Augen und sagt: »Vielleicht überrascht es Sie zu hören, dass Mr Taylor letzte Woche ganz plötzlich taub geworden ist?«
    Die Bombe war geworfen. Anne wusste selbst nicht genau, was sie eigentlich erwartete und erhoffte. Aber wenn Dr. Carter den Eindruck bekam, dass sein Gastgeber tatsächlich taub war, würde das vielleicht endlich seine Zunge lösen. Immerhin hatte sie nicht gelogen. Sie hatte ja nicht gesagt: »Cyrus Taylor ist taub!« Wenn Anne gehofft hatte, Cyrus Taylor würde nun sein Schweigen brechen, so hatte sie sich geirrt. Er starrte sie weiter wortlos an.
    Aber wider Erwarten kamen nun Trix und Pringle durch Annes Worte in Bewegung. Trix hatte vorher schon bemerkt, dass Esme sich heimlich eine Träne abwischte. Alles schien verloren. Lennox Carter würde in dieser Situation nie um Esmes Hand anhalten. Da konnte kommen, was wollte. Nach Annes Worten hatte Trix plötzlich das dringende Bedürfnis, mit ihrem Vater abzurechnen, und aus Pringle platzte es ebenfalls heraus. Die folgenden Minuten würden Anne, Esme und Mrs Taylor in ewiger Erinnerung bleiben.
    »So ein Unglück für meinen armen Papa«, bemerkte Trix ironisch und wandte sich Dr. Carter zu. »Dabei ist er erst achtundsechzig.«
    In Cyrus Taylors Gesicht blitzten zwei kleine, spitze Zähne auf, als er hörte, dass man ihn um sechs Jahre älter machte, aber er blieb stumm.
    »Es geht doch nichts über ein nettes Essen«, sagte nun Pringle laut und deutlich. »Dr. Carter, was würden Sie von einem Mann halten, der seine Familie nur von Obst und Eiern ernährt - nichts als Obst und Eiern -

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