Anne in Windy Willows
gedacht. Ich kann da nicht mithalten, und was Esme betrifft - Sie wissen, Esme ist wirklich nett und eigentlich klug genug, aber in Dr. Carters Gegenwart ist sie so schüchtern, dass sie keinen Ton herausbringt. Sie ist nämlich furchtbar in ihn verliebt, müssen Sie wissen.«
»Sind denn Esme und Dr. Carter verlobt?«, fragte Anne. »Noch nicht. Aber sie hofft so sehr, dass er diesmal um ihre Hand anhält. Warum sonst käme er so plötzlich von so weit her gereist? Esme wäre todunglücklich, wenn er sie diesmal nicht fragen würde. Obwohl ich, ehrlich gesagt, nicht scharf darauf bin, ihn zum Schwager zu haben. Er ist furchtbar pingelig. Es kann ja eigentlich nichts schief gehen morgen Abend, denn Mama ist eine tolle Köchin und unser Dienstmädchen ist auch in Ordnung. Pringle habe ich die Hälfte von meinem Taschengeld für diese Woche versprochen, wenn er sich ordentlich benimmt. Er kann Dr. Carter nämlich nicht leiden, er sagt, er bläst sich so auf. Aber er mag Esme. Wenn bloß Papa nicht wieder eine seiner Launen hat!«
Trix knetete nervös ihre Hände, denn Cyrus Taylors Launenhaftigkeit war tatsächlich in ganz Summerside bekannt. »Man kann nie wissen, wann es wieder losgeht«, seufzte Trix. »Heute Abend hat er ein Theater veranstaltet, weil er sein neues Flanellnachthemd nicht finden konnte. Esme hatte es in die falsche Schublade gelegt. Bis morgen Abend ist er vielleicht darüber weg - oder auch nicht. Wenn nicht, dann ist was los, und Dr. Carter wird von einer solchen Familie sicher nichts wissen wollen. Ich glaube, er hat Esme schon gern, zumindest sagt er, er könne sie sich ganz gut als Ehefrau vorstellen. Aber er hat es nicht gerade eilig. Er soll gesagt haben, ein Mann könne gar nicht vorsichtig genug sein, in was für eine Familie er einheiratet.«
»Was hält denn dein Vater von Dr. Carter?«, erkundigte sich Anne neugierig.
»Oh, er mag ihn! Er sagt, er wäre eine tolle Partie für Esme. Aber wenn er bockig ist, dann ist so was alles vergessen. Der typische Pringle. Großmutter Taylor war eine Pringle, wissen Sie. Was wir in der Familie schon alles erlebt haben! Onkel George lässt wenigstens Dampf ab, wenn er wütend ist. Er tobt, dass man ihn noch drei Häuser weiter hört, und ist dann plötzlich wieder friedlich wie ein Lamm und schenkt allen ein neues Kleid zur Versöhnung. Aber Vater schmollt und wirft mit finsteren Blicken um sich und spricht mit niemandem. Sein Schweigen macht uns alle nervös und wir haben Angst, den Mund aufzumachen. Solange wir unter uns sind, ist es ja nicht so schlimm. Aber leider benimmt er sich vorzugsweise so, wenn wir Besuch haben. Esme und ich haben langsam keine Lust mehr, irgendwelche Entschuldigungen für sein Verhalten zu erfinden. Sie macht sich schon halb verrückt bei dem Gedanken, er könnte bis morgen Abend die Sache mit dem Nachthemd noch nicht überwunden haben. Was würde Lennox dann denken? Ich bin bloß froh, dass Johnny die Dinge nicht so ernst nimmt.« Trix strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Hast du deinem Vater von deiner Verlobung mit Johnny schon etwas erzählt?«, fragte Anne, die bereits eingeweiht war.
»Nein«, seufzte Trix. »Ich bringe einfach nicht den Mut auf. Papa ist gegen Johnny, weil er kein Geld hat, und er würde eine Riesenszene machen, wenn er es erführe. Natürlich muss es irgendwann sein, aber ich will erst die Sache mit Esme abwarten. Er würde die ganze Familie wochenlang ignorieren. Wenn er so ist, haben wir alle Angst vor ihm, besonders Mama und Esme. Man fühlt sich dann wie gelähmt, vor allem, wenn gerade Besuch da ist. Wenn er sich bloß morgen Abend normal benimmt, dann verzeihe ich ihm alles. Er kann nämlich wirklich sehr nett sein, wenn er will. Wenn er gut aufgelegt ist, ist er sehr nett, und - wenn er schlimm ist, ist er sehr schlimm.«
»Ja, er war wirklich sehr freundlich an dem Abend damals, als ich bei euch zum Essen war«, stimmte Anne lachend zu.
»Ja, er mag Sie, und deshalb brauchen wir Sie morgen. Sie werden ihn sicher aufmuntern. Auf jeden Fall wird es ein tolles Essen geben mit Orangencreme als Dessert. Das ist Papas Lieblingsdessert. Was Johnny und mich betrifft, wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als eines Tages durchzubrennen. Das wird Papa uns dann nie verzeihen.«
»Ich glaube, wenn du den Mut aufbringst, es ihm zu sagen, und seine Trotzreaktion in Kauf nimmst, wird er am ehesten wieder zur Vernunft kommen, und du ersparst dir monatelange Qualen«, meinte Anne.
»Da
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