Annebelle - sTdH 2
wußte, wie dumm das war, doch sie hatte
Sehnsucht nach der Minerva, die sie früher aus jeder Klemme befreit hatte. Noch
tiefer in ihrem Bewußtsein lauerten das schöne Gesicht und die Gestalt von
Lord Sylvester, für immer verloren. Und ganz auf dem Grund ihrer Gedanken
pochte die uralte Angst der Jungfrau vor dem Unbekannten.
Sie hatte
alle Kerzen gelöscht, so daß der Raum nur vom rötlichen Schein des Feuers
erhellt wurde.
Endlich
öffnete sich die Tür, und der Marquis kam mit langen Schritten herein. Ein
aufflammendes Holzscheit ließ seinen großen, schwarzen Schatten über die Wände
tanzen.
Annabelle
lag sehr still und steif im Bett. Noch nie hatte sie sich so kalt, so jung, so
ängstlich gefühlt. Sie wünschte inbrünstig, sie könnte die Uhr
zurückdrehen und wieder allein in ihrem schmalen Bett im Pfarrhaus liegen.
Der Marquis
zog seinen Morgenrock aus. Annabelle blinzelte unter gesenkten Lidern und sah
den roten Schein des Feuers auf den Muskeln seiner nackten Beine unter dem
Nachthemd. Sie kniff die Augen fest zu.
Er
kletterte ins Bett. Sie drehte ihm rasch den Rücken zu und rollte sich zusammen
wie ein Igel in Abwehrstellung.
»Also, mein
Schatz«, sagte er mit heiserer Stimme, »ich finde, du könntest deinem Ehemann
wenigstens einen Gutenachtkuß geben.«
Eine wilde
Hoffnung stieg in ihr auf. Vielleicht war das alles, was er wollte – einen
Gutenachtkuß. Sie drehte sich vorsichtig um. Er nahm sie in die Arme und
drückte ihre kalten Glieder an seinen warmen, harten, muskulösen Körper.
Er küßte
sie leicht auf die Nasenspitze. Sie konnte mehr spüren als sehen, daß er
lächelte.
Er küßte
ihre Wangen und ihre Augenlider und dann, sehr sanft, ihren Mund, wobei seine
Hände langsam an ihrem Körper entlangstrichen.
Annabelle
fror nicht mehr und fühlte sich bald merkwürdig getröstet. Die zarten,
besänftigenden Küsse und das Streicheln schienen kein Ende zu nehmen, bis sie
spürte, wie sich eine zitternde Erregung in ihrer Magengrube ausbreitete. Sein
Mund drückte sich fester auf ihren und begann, sich über ihren Lippen zu
bewegen.
Annabelles
Erregung stieg. Er legte eine Hand auf ihre Brust und küßte sie
leidenschaftlicher. Eine wilde Freude überschwemmte sie. Sie bewegte sich
sehnsüchtig in seinen Armen.
Der Marquis
löste sich schließlich von ihren Lippen, hielt sie umschlungen und sah
zärtlich auf sie herunter.
Annabelle,
bebend, begierig nach neuen Entdeckungen, wußte kaum, wo sie war. Als er sie
wieder fest an sich drückte, stöhnte sie: »Oh, Sylvester, liebe mich!«
Mit einem
Schlag schien der Raum kalt und schwarz zu werden. Abrupt schwang der Marquis
seine langen Beine über den Bettrand, stand auf und eilte aus dem Zimmer, die
Tür hinter sich zuschlagend.
Draußen vor dem Haus des Marquis in der
Conduit Street stand unter einer der schwach leuchtenden Straßenlaternen eine
geschlossene Kutsche. Darin saßen Squire Radford und Hochwürden Charles Armitage.
Beiden kam es so vor, als warteten sie seit Ewigkeiten. Der Vikar nahm eine
silberne Flasche aus der Tasche, bot sie dem Squire an, der ablehnte, und trank
dann einen großen Schluck Brandy. Einige Minuten rutschte er unruhig auf seinem
Sitz hin und her, dann holte er eine silberne Schnupftabakdose heraus, die
aussah wie ein kleiner Sarg, öffnete den Deckel und gönnte sich eine herzhafte
Prise. Er nieste anerkennend, wischte sich die Nase am Ärmel ab und fluchte,
weil ihm die Silberknöpfe im Weg waren.
Squire
Radford schauderte und reichte dem Vikar ein sauberes Taschentuch.
»Stell dir
bloß vor, Jimmy«, sagte der Vikar träumerisch, »zwei Vermögen in der
Familie! Ich könnte die beste Hundemeute Englands haben.«
»Ich fand
es schon immer etwas exzentrisch, daß ein Mann mit deinen Mitteln sich eine
private Meute hält. Hast du nie daran gedacht, dich einem Jagdverein
anzuschließen ?«
»Du hast ja
recht. Aber, um die Wahrheit zu sagen, ich könnte es nicht ertragen, das ganze
Gerede, die Vereinsmeierei und was weiß ich nicht alles.«
»Ich
hoffe«, sagte der Squire mit einer Spur von Strenge, »daß deine Bemühungen,
Annabelles Ehe zu retten, von Sorge um ihr Glück bestimmt sind und nicht von
Träumen, deine Meute auf Kosten des Mar quis von Brabington zu
vervollkommnen.«
»Brabington
ist ein brillanter Jagdreiter«, sagte der Vikar und ignorierte die letzte
Bemerkung des Squire. »Er wird mich verstehen.«
»Außerdem«,
fuhr der Squire fort, »ist Geld nicht immer die Lösung.
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