Annebelle - sTdH 2
Platz am Tisch
ein.
Er wirkte
ganz unbefangen und völlig in seine Zeitung vertieft. Annabelle räusperte sich
mehrmals, doch er blickte nicht auf.
Endlich
legte der Marquis die Zeitung hin und gähnte. »Oh, mein armer Kopf«, seufzte
er. »Nun, wahrscheinlich ist das der Preis für eine in der Stadt durchbummelte
Nacht.«
Annabelle
wandte ihm überrascht die blauen Augen zu; dann überkam sie eine Welle der
Demütigung. Er hatte sich nichts daraus gemacht.
»Gehen –
gehen wir heute irgendwohin, Peter?« wagte sie zu fragen.
»Nein,
Mylady. Wir gehen nirgends hin. Ich muß mich um geschäftliche Dinge
kümmern. Krankheit steht dir nicht. Du siehst heute morgen ganz außerordentlich
schrecklich aus.«
»Ich – ich
bin krank«, sagte Annabelle trotzig.
»Deshalb
gehe ich ja mit dir nirgends hin.« Die braungelben Augen schienen sie zu
verspotten.
»Ich fühle
mich ein bißchen besser«, sagte sie tastend, »und die Sonne scheint, und ...«
»Dann
kannst du eine der Kutschen benutzen«, sagte er gleichmütig.
»Ich habe
kein Geld«, sagte Annabelle, »also kann ich gar nicht wirklich etwas unternehmen.«
Er nahm
eine schwere Börse aus seiner Tasche und reichte sie ihr. »Nimm dies«, sagte
er, »und ich werde veranlassen, daß du bei meiner Bank über
Geld verfügen kannst.«
»Danke,
Peter«, murmelte Annabelle.
»Und da wir
im Begriff sind, uns in der Gesellschaft zu bewegen, sollten wir vielleicht die
Konventionen auch zu Hause befolgen. Ich werde dich mit Mylady anreden, und du
wirst mich Brabington nennen.«
»Aber das
wirkt so kalt.«
Er
antwortete nicht darauf, sondern legte seine Serviette hin, stand auf und
streckte sich.
»Guten
Morgen, Mylady«, sagte er und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.
»Was
gestern nacht betrifft«, rief Annabelle, »so muß ich dir wohl erklären ...«
»Oh, bitte
sprich nicht über gestern nacht«, sagte er fröhlich. »Ich habe mehr getrunken,
als mir guttut, und schaudere bei dem Gedanken, was ich sonst noch alles getan
habe.«
Er hob die
Hand zu einem spöttischen Gruß, und dann war er gegangen.
Annabelle
war bestürzt. Er liebte sie nicht. Ein verliebter Mann wäre aufgebracht und
wütend gewesen. Was wäre, wenn ... Oh, welch schrecklicher Gedanke! Wenn er nun
Sylvesters Namen gar nicht gehört hatte, sondern einfach das Schlafzimmer
abrupt verlassen hatte, weil ihn ihre Unerfahrenheit langweilte?
Sie hob die
Hände an die plötzlich heißen Wangen. Oder war er besonders schlau und rächte
sich durch scheinbare Gleichgültigkeit? Dabei sollte sie doch glücklich sein,
wenn er sie nicht liebte. Denn sie liebte ihn ja auch nicht. Sie liebte
Sylvester. Sie versuchte, Lord Sylvesters Gesicht heraufzubeschwören, aber es
gelang ihr nicht.
Sie kam zu
dem Schluß, erst dann weiter über das Problem nachdenken zu können, wenn sie
ihr Gesicht und ihr Haar gewaschen hatte.
Sie läutete
nach Jensen und trug ihm auf, Betty solle die Haarwäsche vorbereiten. »Ich habe
Miss Betty nach einigen Gegenständen für Myladys Toilettentisch geschickt«,
sagte Jensen. »Sie ist ungeübt und muß noch viel lernen.«
»Dann werde
ich sie unterweisen«, sagte Annabelle ärgerlich. »Sagen Sie in der Küche
Bescheid. Man soll mir ein Haarwaschmittel zu bereiten. Es muß bestehen aus
Borax für einen Penny, einem Viertelliter Olivenöl und einem halben Liter
kochendem Wasser. Und geben Sie etwas Rosmarin dazu.«
Nachdem
Annabelles Haar von einem der Mädchen gewaschen und eine Mischung aus Olivenöl,
Walrat, Mandelöl und Zitronenessenz vorsichtig mit einem warmen Flanelltuch
einmassiert worden war, begann sie sich besser zu fühlen.
Peter war
pikiert, das war alles. Sie würde sich seelenruhig vergnügen und ihm zeigen,
daß es ihr nichts ausmachte, dann würde sie ihn bald zurückgewinnen. Was nutzte
es schließlich, verheiratet zu sein, wenn man überall allein hingehen mußte?
Nach
einigen inneren Kämpfen schickte sie Nachricht in Lady Godolphins Haus,
Deirdre solle sich bereit halten, am Nachmittag mit ihr im Park auszufahren.
Als Deirdre
später zu ihr in den Landauer hüpfte, war Annabelles Selbstgefühl einigermaßen
wiederhergestellt. Sie versagte es sich sogar, Deirdre ins Haus
zurückzuschicken, um ihr Haar herunterzulassen und den riesigen Schutenhut
abzunehmen, mit dem sie sich für die Ausfahrt geschmückt hatte.
Annabelle
wußte gar nicht mehr, wie hell und weittragend Deirdres Stimme sein konnte.
Kaum hatten sie sich zwischen die Kutschen
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