Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
Tag Lebenszeit bekommen die kleinen Knäuel schon eine Spritze. Fein säuberlich hat die Anni sich auf dem Stubentisch ein Schnapsglas mit dem Impfstoff hingestellt. Darauf liegt die unheilvolle Spritze mit einer besonders kleinen Nadel – bereit zum Einsatz. Neben dem Tisch, gleich auf der Eckbank, hat die Anni sich praktischerweise zwei Pappschachteln mit Heu hingestellt. In die eine kommen die Küken, die es schon hinter sich haben. In der anderen warten die kleinen Piepmätze noch auf den ersten Piks ihres Lebens.
Für die Anni ist diese Impfung Pflicht, denn sie fürchtet die Mareksche Krankheit in ihrem Hühnerstall. Einmal hat sie diesen hoch ansteckenden Virus mitmachen müssen auf ihrem Einödhof. Ist einmal eine Henne damit infiziert, müssen alle anderen ebenfalls getötet werden. Die gefährliche Geflügelkrankheit lähmt das Nervensystem der Tiere oder führt dazu, dass sich an sämtlichen Organen Tumore bilden. Ein grauenvoller Tod.
Lieber packt die Anni die etwa fünf Zentimeter großen Küken und lässt sie kopfüber baumeln. Ein Bein hält sie zwischen Daumen und Zeigefinger gnadenlos fest, in das andere jagt sie die 0,2-Milliliter-Spritze. Ein leise empörtes »fiep-fiep-fiep« irritiert sie nicht, da ist sie Profi. Und mit Schwung setzt sie die geimpften Zöglinge in die Absolventen-Schachtel. »Das reicht das ganze Leben, diese Impfung«, kommentiert die Anni noch ihr Treiben, das sie gewissenhaft mit ihrer dicken Brille und hoch konzentriert ausübt.
Nach dem ersten Schreck aber haben die Küken ein gutes Leben in Hilgenreith. Und nach vier Tagen be kommen sie ein ganz besonderes Futter – eine Mischung à la Anni. Dafür schneidet die am Küchentisch Schnittlauch, Petersilie, Löwenzahn und vor allem Brennnesseln. »In den Brennnesseln ist Silizium für das Federwachstum drin«, weiß die Anni, die immer wieder mit den Fachberatern für Geflügelzucht in Niederbayern konferiert. Das brennende Kraftfutter, allerdings, erntet die Anni mit bloßen Händen, da kennt sie nichts. »Andere legen doch Handschuhe an«, zweifelt der Alois und schaut ihr beim Schneiden zu. Das bringt Anni mal wieder zum Lachen, weil sie viele Probleme nicht hat, mit denen empfindliche Menschen oder auch »Stadterer« kämpfen. »Die Brennnesseln haben mehr Angst vor mir als ich vor ihnen«, ist sie überzeugt und schneidet die gefürchteten Gesellen so klein, wie es geht. »Da bräuchtest du ein Wiegemesser«, springt Alois ihr helfend bei, aber Anni ist für solche luxuriösen Hilfsmittel nicht zu haben. »Was soll ich denn mit dem Schmarrn!«, ruft sie empört. Und weil der Alois sie heute noch ein bisschen mit ihren eigenen Empfindlichkeiten aufziehen will, sagt er ironisch: »Aus den Brennnesseln kannst du dir einen Tee machen.« Denn er weiß, dass Anni Tee über alles in der Welt hasst. Und schon schleudert sie ihm eine def tige Antwort entgegen: »Nein, lieber mach’ ich dir einen Salat aus den Brennnesseln, der hat viel’ Vitamine.«
Noch schnell ein hartes Ei klein schneiden und vermischen, dann schiebt die Anni das Futter auf einen Teller und stellt ihn zu der kleinen Kükenfamilie. Neugierig steht Alois auf und schaut, ob die Küken davon schon etwas fressen. Das Futter ist neu, ungewohnt, nur langsam wird die Vitaminbombe beschnuppert und getestet. »Ich glaub’, ich muss für die Küken wieder ein bisschen Wärme machen«, sagt der Alois fürsorglich und legt noch ein Holzscheit im Herd nach. Ihm gefallen die kleinen laufenden Flaumbällchen und er nimmt sich gern mal eines aus der Schublade, um es zu streicheln: »Gell, Singei«, spricht er mit dem winzigen Wesen. Aus dem Hintergrund ruft die Anni: »Ich brauch’ nur die Hennen, die Hähne werden nach drei Monaten geschlachtet.« Alois schaut noch einmal das Küken an, das ruhig in seinem Handteller sitzt. »Ich bin kein Metzger«, schüttelt er den Kopf. Die Anni dagegen hat in ihrem Leben schon über tausend Hähne mit eigenen Händen geschlachtet. Das weiß der Alois und er weiß, dass es wieder so sein wird, wie es immer ist. »Gell, Singei«, sagt er noch mal, als ob er die Anni nicht gehört hätte, und setzt das Küken wieder zurück zu seinen Geschwistern.
Mein Kreuz!
W enn der Satz stimmt: »In jedem Mensch steckt ein Gärtner«, dann müssen in der Anni mindestens zwei oder drei Gärtner stecken. Ab Ende April arbeitet sie täglich mehrere Stunden in ihren zwei großen Gemüsebeeten. Dann kniet sie – egal bei welchem Wetter, egal bei
Weitere Kostenlose Bücher