Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
welcher Temperatur – mitten in der mal trockenen, mal feuchten Erde, angezogen nur mit einer leichten Schürze, großblumig und auffällig. Natürlich ist sie barfuß. Millimeter um Millimeter rutscht Anni an den fünf Meter langen Furchen entlang, wo sie ihre Pflänzchen eingräbt. Nur manchmal stören sie unerwünschte Eindringlinge. »Heh, raus da«, schreit sie dann empört und treibt ein paar vorwitzige Hennen recht grob aus ihrem Heiligtum. »Gack-gack-gack-gack«, beschweren sich die Exilanten noch lange lautstark am Gartenzaun über die entgangenen Leckerbissen, recken ihre Hälse, gaffen in den Gemüsegarten, während die Anni längst seelenruhig weiterarbeitet.
Rücksicht auf ihr »Kreuz« nimmt Anni dabei nicht, obwohl sie oft starke Schmerzen plagen. Ihre Wirbelsäule ist ein Desaster – sechs Bandscheiben, so erzählt sie, sind ganz heraus und die letzten drei Wirbel tot. Auch die siebenhundert Spritzen, die die Anni vom Doktor im Lauf der Jahre bekommen hat, sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Zur Krankengymnastik geht die Anni nicht, solch neumodischen Kram mag sie nicht. Denn sie hat eine ganz eigene Gesundheitstheorie: »Das mach’ ich und geht es, wie es will«, sagt sie fast trotzig und damit ist ausdiskutiert, da wird nicht weiter geredet, sondern am Ende höchstens noch eins draufgesetzt: »Die anderen brauchen Sport, ich brauch’ eben den Garten.«
Wenn es recht lange geregnet hat und die Erde sehr batzig ist, wächst auch in Annis Gemüsebeeten das Unkraut in rauen Mengen. Tagelang sitzt sie dann mit ihrer Gartenhacke in den paar Quadratmetern gezähmter Natur und kämpft gegen den unerwünschten Gast – oft bis es dunkel wird. Den Alois interessiert das Treiben in den Beeten nicht, das ist für ihn sowieso verbotenes Terrain. »Der kennt ja Unkraut und das andere nicht auseinander«, schimpft die Anni über so viel Ignoranz. »Da mach’ ich lieber alles selbst, da weiß ich wenigstens, was getan ist«, schließt sie ihre gnadenlose Einschätzung ab. Die 76-Jährige baut Kartoffeln an, Salat, Radieschen, Weißkohl, Bohnen, Tabak und Tomaten – aber meist nicht in der gewöhnlichen Version: Bei der Anni müssen es natürlich alte, seltene oder von eigener Hand veredelte Sorten sein. So steckt die Anni eben nicht normale Kartoffeln in die Erde, sondern »Bamberger Hörnchen«, eine inzwischen rare Art mit sehr kleinen Früchten. Auch von den Tomaten besitzt die be geisterte Botanikerin etwa zwölf Sorten, darunter solche mit wohlklingendem Namen wie »Fantasia«, »Martina«, »Phantasia«, »Zebrina« oder »Vitella«, die sie minutiös mit winzigen Metallstiften veredelt, damit diese resistenter gegen Wurzelkrankheiten werden.
Im Supermarkt kauft die Anni kein Gemüse ein. So spart sie Geld und sie weiß, was sie isst – nämlich unbehandeltes Obst und Gemüse, echte »Bioware« angebaut in Hilgenreith. »Da weiß man doch, wo der Krebs herkommt, wenn überall am Essen Gift dran ist«, wettert die »Bio-Gärtnerin« ohne Ausbildung und Zertifikate gern gegen die konventionelle Landwirtschaft. »Ja, und weswegen sind wir so gesund? Weil wir das ganze künstliche Zeug nicht essen!«, beendet sie ihren Gedankengang.
Lieber ruiniert Anni sich beim Gärtnern ihren Rücken. Manchmal kann sie kaum mehr aufstehen, wenn sie längere Zeit auf den Knien gearbeitet hat. Aber sie lässt sich das nicht anmerken, bloß wenn sie sich wieder aufrichtet, entkommt ihr meist ein kurzes »Ah« und ihr Gesicht verzieht sich schmerzerfüllt – ein kurzer Moment von Schwäche, den sie gern schnell vorbeigehen lässt. Denn die Anni ist eine »Eiserne«. Im Bayerischen gibt es für solche wie sie das Adjektiv »hoaglbuachan«, angelehnt an den Baum Hainbuche, dessen knorriges Holz besonders schwer zu bearbeiten ist. Eine »Hoaglbuachana«, das ist eine Frau, die derb, aber unverwüstlich ist. Notgedrungen vielleicht, und so sagt die Anni wahrheitsgemäß über sich: »Wegen dem Alter kenne ich nichts, ich glaub’ immer noch, dass ich fünfzig bin, so viel arbeiten kann ich.«
Aber auch der körperlich schwächere 78-jährige Alois muss noch viele Aufgaben rund um das Haus erledigen, wie Dengeln, Waldarbeit, Holz hacken, aufstapeln, Schreinerarbeiten und Reparaturen aller Art. Obwohl ihn seit fast zwanzig Jahren das »Rheumatische« plagt, schafft er es, mithilfe von Tabletten im Alter schwer körperlich zu arbeiten. »Solange wir noch einigermaßen stabil sind, machen wir halt alles«, seufzt er
Weitere Kostenlose Bücher