Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Dollar liegt?«
»Ja, ich glaube schon.«
Halenius machte sich auf einem Block Notizen.
»Haben Sie sonst irgendwelche Wertgegenstände, die man verkaufen könnte? Irgendwas, das Thomas gehört?«
»Er hatte ein Segelboot, aber das hat seine Exfrau bekommen. Und dann hat er mit Sophia Grenborg zusammen ein Motorboot gekauft, aber das hat sie behalten, als er sie verlassen hat. Als Trostpflaster … Warum fragen Sie?«
»Warum die Handelsbank?«, fragte Halenius.
»Die zahlen ihren Direktoren die niedrigsten Erfolgshonorare«, sagte Annika.
Halenius lachte auf, kurz und herzlich.
»Ich habe auch gewechselt«, sagte er. »Aus demselben Grund.«
Die Finanzleute hielten ihr Recht auf Milliarden-Boni nach wie vor für selbstverständlich, obwohl die ganze Finanzkrise doch ihre Schuld war.
»Erst wollen sie ein Jahresgehalt von ein paar Millionen, nur weil sie zur Arbeit gehen. Dann verlangen sie dafür, dass sie ihre Arbeit machen, noch einmal so viel als Bonus«, sagte Annika.
»Für Leute in der Finanzbranche ist Geld etwas rein Hypothetisches«, sagte Halenius. »Sie kapieren nicht, dass irgendjemand immer bezahlen muss, und das sind meistens arme Typen am Ende der Nahrungskette.«
»Oder die Frauen«, sagte Annika.
Sie lächelten sich an.
»Eine Million Dollar also«, sagte Halenius. »Das ist unser Einsatz.«
»Eine Million Dollar«, bestätigte Annika.
*
Sie war strahlend weiß wie Engelsflügel, die Andreaskyrkan in Vaxholm, die Kirche der Missionsgemeinde: Ich war eines von Paul Petter Waldenströms vielen kleinen Lämmern, ein weißes und unschuldiges Lämmchen (zumindest am Anfang).
Es war so toll in der Sonntagsschule. Im Gemeindesaal schien immer die Sonne, ganz gleich, welches Wetter draußen herrschte. Zuerst sangen wir Lieder und beteten gemeinsam, und dann hatten die größeren Kinder im Hinterzimmer Bibelstunde. Aber es war nicht einfach irgendein Bibelunterricht: Die Bibel war in Comicform! Jeden Sonntag erhielten wir ein neues Blatt, in der Mitte gefaltet, sah es aus wie vier Zeitungsseiten. Das Papier war so schlecht, dass die kleinen Holzsplitter darin zu erkennen waren, und es zerbröselte beim Versuch, einen Bleistiftstrich auszuradieren. Hatte man richtig Glück, waren Comics auf allen vier Seiten, aber das kam nur selten vor. Auf der vierten und letzten Seite, und manchmal auch auf der dritten, standen immer Fragen, die beantwortet werden mussten, Kreuzworträtsel zu christlichen Begriffen, die gelöst werden sollten, Glaubensbekenntnisse, die es zu diskutieren galt, und das war natürlich langweilig, aber ich ging trotzdem hin, jeden Sonntag, denn die Comics waren wie eine unerschöpfliche Serie, die anscheinend nie zu Ende ging.
Obwohl sie natürlich zu Ende ging, alles geht irgendwann zu Ende.
Alles geht mal zu Ende. Sogar das hier.
Mittlerweile haben sie auch den Spanier geholt. Alvaro Ribeiro heißt er, ich erinnere mich an seinen Namen, weil mein Großvater Alvar hieß, und es gab mal einen recht vielversprechenden Tennisspieler namens Francis Ribeiro, er trainierte eine Weile in Finnland. Wo der wohl abgeblieben ist?
Sie haben den Spanier geholt, als es richtig dunkel war. Er sagte kein Wort, als sie kamen und ihn wegtrugen. Nicht goodbye oder sonst irgendwas.
Der Rumäne tauchte nicht wieder auf.
Ich horchte in mich hinein, in die Dunkelheit.
Waren die Lämmer dreizehn und in der Bibelstunde immer schön fleißig gewesen, durften sie Hirten für die kleinen Lämmchen werden. Eigentlich wurde jeder Hirte, nur ich nicht. Ich weiß nicht, warum ich kein Hirte werden durfte, es ist lange her, dass ich darüber nachgedacht habe. Aber ich weiß, dass ich mir damals Gedanken darüber machte, warum alle außer mir Hirten werden durften. Vielleicht war ich nicht fromm genug. Vielleicht spielte ich zu viel Eishockey. Vielleicht wussten die großen Hirten, dass Linus und ich immer heimlich hinter den Bootsschuppen rauchten und dass wir die Bierflaschen austranken, die Linus’ Vater im Kofferraum vergessen hatte.
Es kamen immer mehr Mücken. Sie stachen mich unaufhörlich, in die Finger, die Arme, die Ohren, die Wangen, die Augenlider.
Annikas Lachen erklang im Raum um mich herum. Sie glaubt nicht an Gott. Sie sagt immer, er ist ein chauvinistischer Bluff, geschaffen von Männern, um den Pöbel und die Weiber in Schach zu halten. Ich weiß, dass es irrational ist, aber jedes Mal, wenn sie solche Sachen sagt, bekomme ich Angst. Ich finde, es ist so unnötig. Wenn es ihn
Weitere Kostenlose Bücher