Anonym - Briefe der Lust
Weil wir dann zwei andere Menschen an einem anderen Ort sein können. Ich kann vergessen, dass es meine Pflicht ist, ihn zu lieben, und kann ihn einfach nur ficken wie einen Fremden, den ich niemals wiedersehen muss.
Austin rief mich an, aber er schien es ernst gemeint zu haben, als er zustimmte, dass wir nur noch Freunde sein wollten. Ich hatte vergessen, wie es war, stundenlang mit ihm zu telefonieren, in der Dunkelheit, und jede Sekunde des Tages zu beschreiben, einfach nur um einen Grund zu haben, weiterzureden. Nun waren unsere Gespräche kürzer, aber sie erinnerten mich doch an damals.
An der Eric-Front waren die Dinge wesentlich komplizierter. Seit unserem Dinner-Date hatte ich ihn mehrmals getroffen. Wir waren noch einmal gemeinsam essen gegangen, waren im Kino gewesen und hatten Spaziergänge am Fluss gemacht. Solche Dinge eben. Da unsere Tagesabläufe ziemlich voneinander abwichen, war es unmöglich, uns ständig zu sehen. Außerdem war ich nicht „so eine“ Frau. Eine, die nach einem einzigen Date schon auf ein Heiratsversprechen wartete.
Wir bewegten uns ganz, ganz langsam. Wie Eisschollen im Wasser. Und das war vollkommen in Ordnung für mich. Ich hatte das Interesse in seinen Augen aufflackern sehen, hatte beobachtet, wie er meinen Mund anstarrte, wenn ich sprach. Spürte, wie seine Finger meine fester umschlossen, wenn wir nebeneinander hergingen.
Ich wusste, er wartete darauf, dass ich den ersten Schritt tat oder ihm ein Zeichen gab, dass er ihn tun sollte. Im Moment war ich noch nicht bereit zu einem von beidem. Als Paige genoss ich die Sache mit dem Langsam-voran-Gehen.
Als seine unbekannte Gebieterin dagegen besaß ich die komplette Kontrolle über sein Leben.
Jeden Tag saß ich an meinem Küchentisch, vor mir die offene chinesische Lackschachtel, während meine Feder über das dicke cremefarbene Papier glitt wie die Hand eines Liebhabers über die Haut der Geliebten. Ich bekam vom Schreiben keinen Orgasmus. Nicht ganz. Doch jede Nachricht, die ich ihm schrieb, versetzte mich in einen Zustand, in dem ich mir jedes Teils meines Körpers vollkommen bewusst war. Meiner Finger, die sich um den Füllfederhalter legten. Meiner Handflächen, die das Papier streichelten. Der Innenseiten meiner Handgelenke und meines Unterarms, die beim Schreiben auf dem Tisch lagen. Meiner Schenkel, die sich unter dem Rock aneinanderrieben.
Vom Schreiben der Nachrichten bekam ich keinen Orgasmus, aber es fühlte sich fast so gut an.
Ich schrieb ihm vor, was er anziehen sollte. Was er zum Lunch mitnehmen sollte. Er hatte, endlich, das Rauchen aufgegeben. Ich befahl ihm, mir Dessous zu kaufen, nannte die Größe, überließ ihm aber die Wahl. Er musste sie an das Postfach schicken, das ich in einer Postfiliale in der Nähe meines Büros gemietet hatte. Ich erwartete etwas Schwarzes. Möglicherweise ohne Zwickel oder wenigstens an den entscheidenden Stellen durchsichtig. Die weiche babyblaue Seide mit dem Spitzenbesatz gefiel mir.
Für dieses Geschenk durfte er sich selbst bis zum Orgasmus streicheln.
Es war nun Zeit, ein wenig weiter zu gehen. Ich war mir nicht sicher, woher ich das wusste, aber es war mir ebenso klar, wie mir jeden Tag klar war, wie ich Paul behandeln musste, damit er sich auf die Arbeit konzentrierte und mich nicht wegen des Jobs bei Vivian bedrängte.
Wovor hast Du Angst?
Ich klopfte mit dem Ende des Füllers aufs Papier, dann gegen meine Lippen.
Ich will wissen, was Deine Hände schwitzen und Dich gleichzeitig hart werden lässt. Was macht Dir Angst, weil Du es so sehr willst?
Das war keine Frage, die ich selbst ohne langes Nachdenken hätte beantworten können, aber genau das war der Punkt. Ihn zum Nachdenken zu bringen. Ich schob die Nachricht in einen passenden schlichten Umschlag, versiegelte ihn und brachte ihn hinunter zu den Briefkästen. Eric hatte eine weitere Zwölfstundenschicht, und ich wusste, er würde erst nach Hause kommen, wenn ich schon im Bett lag, aber ich wollte auch nicht früher aufstehen, um den Brief einzustecken.
Anschließend ging ich ins Internet, um online einige Rechnungen zu bezahlen und einige Einstellungen in meinem Connex-Account zu ändern. Dort hatte ich seit Wochen nicht hineingeschaut und fand eine ganze Seite mit Freundschaftsanfragen vor und eine Menge Einträge in meiner Freundesliste, die ich durchscrollen musste. Nichts besonders Interessantes, da die Leute, die ich von zu Hause kannte, immer noch taten, was sie zu tun pflegten, bevor ich
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