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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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Ich stützte mich mit den Händen ab und bereitete mich darauf vor, auf dem Fußboden zu landen, wenn das klapprige Ding zusammenbrach, aber es hielt. Rasch wickelte ich mein Essen aus, denn mein Magen knurrte schon.
    „Schreckliches Wetter, nicht wahr?“ Brenda stocherte in ihrem welken Salat herum. „Ich wünschte, der Winter würde endlich zu Ende sein.“
    „In drei Monaten beklagen sich alle darüber, dass ihnen zu heiß ist.“
    Sie schaute mich blinzelnd an. „Ja. Wahrscheinlich. Aber ich wünschte, es würde wärmer. Es ist fast März, verdammt noch mal! – Obwohl wir vor Jahren Mitte März diesen schrecklichen Blizzard hatten. Kannst du dich daran auch noch so gut erinnern? Ich hoffe, so etwas passiert dieses Jahr nicht wieder.“
    Unter anderen Umständen wären wir niemals befreundet gewesen. Nicht, dass ich sie nicht mochte, aber wir hatten nicht viel gemeinsam. Brenda war älter als meine Mutter und hatte Zwillingsmädchen, die schon aufs College gingen. Sie hatte auch einen Ehemann, über den sie ständig als „mein Süßer“ redete, und dessen Vornamen ich bis jetzt nicht erfahren hatte. Ich stellte mir vor, dass er Fred hieß, was aber letztlich auch egal war.
    „Wir hatten diesen Winter kaum Schnee. Ich bin sicher, da kommt auch nichts mehr nach.“
    „Ich weiß nicht, wie du das aushältst, ehrlich.“ Brenda hatte ihren Salat aufgegessen und starrte sehnsüchtig die zweite Hälfte meines Sandwiches an.
    Ich tat, als würde ich nichts merken. Wenn ich nicht hungrig genug war, alles aufzuessen, würde der Rest mein Abendessen sein. „Den Mangel an Schnee?“
    Sie lachte, schaute sich mit einem verschwörerischen Blick im leeren Pausenraum um und sagte mit gesenkter Stimme. „Himmel, nein. Ich meinte Paul. Ich weiß nicht, wie du es aushältst, für ihn zu arbeiten.“
    „Er ist nicht so schlimm, Brenda. Wirklich nicht.“
    Sie stand auf, um sich einen Snack aus dem Automaten zu ziehen. „Erzähl mir das nächsten Monat noch mal.“
    „Was soll denn in einem Monat noch passieren?“ Ich wickelte mein Sandwich sorgfältig in das dicke weiße Pergamentpapier. Es war vom Fett stellenweise durchsichtig und dadurch unbrauchbar, was wirklich schade war. Dieses Papier eignete sich wunderbar zum Bildermalen. Arty liebte es.
    „Es ist Paul noch nie gelungen, eine Assistentin länger als sechs Monate zu halten, höchstens.“
    „Ich bin schon fast sechs Monate hier.“
    „Ja“, stimmte Brenda wissenden Blickes zu. Offenbar war sie genau im Bilde. „Und du kannst mir nicht erzählen, du wüsstest nicht inzwischen, dass er ein bisschen … eigen ist.“
    Die Zeiten, als eine gute Sekretärin in unverbrüchlicher Treue zu ihrem Chef stand, waren lange vorbei. Dennoch stimmte ich ihr nicht zu. „Ich habe doch gesagt, dass er nicht so schlimm ist. Außerdem schreit er nicht herum oder so, wenn ich etwas nicht genau richtig mache.“
    „Das sollte er auch besser sein lassen!“ Brenda entrüstete sich an meiner Stelle. „Du bist seine Assistentin, nicht seine Sklavin.“
    Ich stieß ein kleines Schnauben hervor, das eigentlich ein Kichern werden sollte, aber nicht ganz gelang. „Sklaven werden nicht bezahlt.“
    „Denk nur mal an unsere Unterhaltung im vergangenen Monat zurück, als du dich darüber beschwert hast, dass er langsam unmöglich wird. Irgendwann werden sie das alle“, erklärte Brenda. „Seit er hier arbeitet, hat er sieben Assistentinnen verschlissen.“
    „Sie haben alle gekündigt?“
    „Nein. Ein paar von ihnen hat er auch gefeuert.“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Das waren die Glücklicheren, wenn du mich fragst.“
    Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Noch fünf Minuten, bevor ich mich aus meiner Pausenlethargie reißen und ins Büro zurückkehren musste. Genug Zeit für ein abgepacktes Cremetörtchen, falls ich mich mit Zucker vollstopfen wollte, oder für eine Tasse Kaffee aus der Gemeinschaftskanne. Ich wollte weder die Kalorien noch die Keime. Also öffnete ich meine zweite Dose Cola.
    „Warum hatten sie Glück?“, erkundigte ich mich in mildem Ton. Nicht weil es mich wirklich interessierte, sondern nur um die Unterhaltung in Gang zu halten.
    „Diejenigen, die selber gekündigt haben, mussten wahrscheinlich viel mehr aushalten, das ist alles. Ich habe gehört, das letzte Mädchen, das er hatte, nahm eine Stelle in einem Lebensmittelladen an, so dringend wollte sie hier weg.“
    „Das hört sich ziemlich verzweifelt an.“ Ich streckte mich. Als ich

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