Anonym - Briefe der Lust
liebte ich ihn, aber es war verdammt viel besser, als in einem Sandwich-Laden oder als Kindermädchen zu arbeiten. Beides hatte ich getan, während ich nach einer Stelle suchte, bei der ich mein am College erworbenes Wissen über Betriebswirtschaft anwenden konnte. Solange ich weder Gehacktes herstellen noch einen Kinderhintern abwischen musste, würde ich bis auf Weiteres froh und glücklich sein.
Es hatte noch einen Vorteil, einen Boss zu haben, der die Dinge genau so und nicht anders wollte. Er war bereit zu tun, was immer nötig war, um sicherzustellen, dass die Dinge genau so abliefen, wie er es gern wollte. So beschrieb er mir in einer dreiseitigen E-Mail die Arbeit einer Woche, die während seiner Abwesenheit erledigt werden musste, oder nahm sich fünf Minuten Zeit, um mir ganz genau zu erklären, was ich ihm zum Lunch besorgen sollte. Und wenn er mich losschickte, damit ich ihm etwas zu essen besorgte, bezahlte er gewöhnlich meine Portion.
Heute wollte er ein Pastrami-Sandwich auf Roggenbrot von Mrs Deli. Mit Senf, ohne Mayo. Keine Tomaten, keine Zwiebeln. Den grünen Salat neben dem Brot. Dazu Kartoffelsalat und einen extragroßen Becher Eistee mit echtem Zucker und nicht mit dem, was er „abgepackten Krebs“ nannte.
Ich traf Brenda auf dem Flur, als ich zurück zum Büro ging. Sie warf einen Blick auf den riesigen Papierbeutel von Mrs Deli und schnüffelte hungrig. In der Hand hielt sie eine kleine Schachtel mit Salat, der offenbar von demselben Jungen stammte, der morgens Bagels verkaufte. Ich hatte auch einmal einen dieser Salate probiert, als ich mein Lunch zu Hause vergessen hatte und so hungrig war, dass ich sogar bereit war, die Quarter zu opfern, die ich für den Waschsalon gesammelt hatte.
„Himmel, Paige“, sagte Brenda. „Hast du ein Glück. Ich wünschte, mein Boss würde mich losschicken, um Lunch zu holen. Zum Teufel, ich würde alles darum geben, hier wenigstens mal eine Stunde herauszukommen.“
Offiziell hatten wir eine Stunde Mittagspause. Aber da unsere Firma in einem Gewerbegebiet am Stadtrand lag, gab es in der Nähe keine vernünftigen Imbisse und Restaurants, und die Zeit reichte einfach nicht für Hin- und Rückweg und die Mahlzeit dazwischen. Es mochte zwar sein, dass Rhonda sich nicht weiter darum kümmerte, was Brenda im Büro tat, aber sie war sehr pingelig, was die Arbeitszeit und die Pausen betraf. So hat eben alles seine Vor- und Nachteile.
„Ich bringe Paul nur schnell sein Essen und komme gleich wieder runter.“
Brenda betrachtete die traurige Schachtel in ihrer Hand. „In Ordnung. Allerdings habe ich nur noch vierzig Minuten Zeit.“
„Ich beeile mich.“
Pauls Tür war halb geschlossen, und ich klopfte an den Türrahmen. Als ich von drinnen einen gedämpften Laut hörte, stieß ich die Tür auf. Paul saß an seinem Schreibtisch und starrte den Monitor seines Computers an. Der Bildschirmschoner hatte sich eingeschaltet und zeigte ein Muster aus bunten, sich selbst verlegenden Rohren. Ich fragte mich, wie lange er schon so dasaß.
„Paul?“
„Paige. Kommen Sie rein.“ Er machte eine einladende Handbewegung und drehte sich auf seinem Stuhl herum.
Vorsichtig, damit ich nichts verschüttete, zog ich sein Lunch Stück für Stück aus der Tüte. Es war wie ein Ritual, bei dem wir anstelle einer Fackel Essen weitergaben. Paul stellte alles auf seine Schreibunterlage. Das Sandwich auf sechs Uhr, den Kartoffelsalat auf neun, die Plastikgabel und die Serviette auf drei. Sein Getränk landete auf zwölf Uhr mittags, und dann schaute er zu mir auf.
„Vielen Dank, Paige.“
Es war das erste Mal, seit ich für ihn arbeitete, dass er die obere Brotscheibe nicht anhob, um nachzusehen, ob das Sandwich nach seinen Wünschen gemacht war, und auch nicht am Tee nippte, um festzustellen, ob ich nicht versehentlich welchen mit Süßstoff gekauft hatte.
„Brauchen Sie noch irgendetwas?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Gehen Sie ruhig, und machen Sie Mittagspause. Ich brauche Sie aber hier wieder um viertel nach eins. Dann habe ich diese Telefonkonferenz.“
„Sicher. Kein Problem.“ Ich nahm mein eigenes Sandwich und ging hinunter in den Pausenraum, um mich mit Brenda zu treffen.
Da die Kunden nicht hierherkamen, hatte der Pausenraum schon bessere Zeiten gesehen. Die Snackautomaten waren neu, aber die Tische und Stühle machten den Eindruck, als wäre sie schon mehrmals aus dem Sperrmüll gerettet worden. Als ich mich setzte, knarrte mein Stuhl alarmierend.
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