Anonym - Briefe der Lust
nun in Harrisburg lebte. Wir legten auf.
Ich streifte meine Kleider ab und ging ins Bad. Dabei wünschte ich mir, unsere Unterhaltung könnte ebenso leicht fortgespült werden wie der Schaum, der durch den Abfluss verschwand. In meiner Kindheit hatte ich mit meiner Mom in einer Reihe billiger Apartments, gemieteter Wohnwagen und abbruchreifer Häuser gewohnt, die Männern gehörten, die oft mehr an den hausfraulichen Fähigkeiten meiner Mom interessiert zu sein schienen als an ihr. Es hatte nie genug von irgendetwas gegeben und ganz besonders nicht genug heißes Wasser zum Duschen.
In der besten unserer Unterkünfte funktionierte es, wenn ich mich am späten Abend unter die Dusche schlich, falls niemand anders ins Bad wollte, die Waschmaschine nicht lief und niemand abwusch. In der schlimmsten Wohnung war die Dusche meine Zuflucht vor dem Geschrei und den knallenden Türen, und ich stand bibbernd unter dem schwachen Wasserstrahl, der eiskalt wurde, lange bevor ich fertig war.
Ich arbeitete hart und war sehr sparsam, um mir die kleinste Wohnung und die billigste Ausstattung in einem von Harrisburgs gefragtesten neuen Apartmenthäusern leisten zu können. Es mag verschwenderisch sein, so viel dafür zu bezahlen, dass heißes Wasser in unbegrenzter Menge zur Verfügung steht, aber das war mir egal. Ich nutzte die Möglichkeit, ausgiebig zu duschen, wann immer ich Zeit hatte.
Nachdem ich aus der Dusche gekommen und mir eine ausgebeulte Fleecehose und ein T-Shirt übergeworfen hatte, das schon abgetragen gewesen war, als ich es aus Austins Schublade gestohlen hatte, fühlte ich mich besser. Ich machte mir ein Sandwich, goss mir ein Glas kalte Milch ein und stellte das Essen auf den Tisch. Dort lag immer noch die Karte.
Sie glitt in meine Hand, als wäre sie für meine Finger gemacht worden. Wieder schlängelten sich die gleichen schwarzen Buchstaben, geschrieben mit der gleichen schwarzen Tinte, über das Papier, und dieses Mal war niemand da, der mich beobachten konnte. Also hob ich die Karte an meine Nase und atmete tief ein.
Frische, gute Tinte riecht wie nichts anderes auf der Welt. Ich schloss die Augen und atmete noch einmal ein. Das Papier selbst verströmte ebenfalls einen leichten Moschusduft nach einem Rasierwasser oder einem Parfüm, das ich nicht erkannte. Ich setzte mich hin, um die Karte genau zu betrachten. Die Zahlen auf der Vorderseite des Umschlags waren mit dicken, energischen Strichen geschrieben. Es gab keinen Namen und keinen Poststempel, woraus ich hätte schließen können, wo und wann die Karte abgeschickt worden war. Nirgends war die Tinte mit einer Fingerspitze verschmiert worden, von der ich auf die Größe der Hand, die die Zeilen geschrieben hatte, hätte schließen können. Die elegante Handschrift bot keinen Hinweis auf das Geschlecht des Schreibers.
Ohne Briefmarke konnte die Karte nicht mit der Post gekommen sein, was bedeutete, dass jemand sie durch den Schlitz in meinen Briefkasten geworfen haben musste. Wieder durch den falschen Schlitz in den falschen Briefkasten. Jemand hatte sich die Zeit genommen, die Zahlen auf die Vorderseite zu schreiben, aber nicht auf die Ziffern an meinem Briefkasten geachtet. Die Nachricht war nicht für mich bestimmt, und ich hätte sie nicht lesen sollen. Hätte ich es nicht getan, wäre alles anders gekommen.
Hätte ich doch nur das Richtige getan.
12. KAPITEL
Du wählst Dein feinstes Papier und Deine beste Tinte.
Du beschreibst in allen Einzelheiten Deine erotischste Erfahrung. Es darf ein wirkliches Erlebnis oder eine Fantasie sein, aber Du musst sie in Deiner besten Handschrift fehlerfrei niederschreiben, ohne Tintenkleckse und ohne Rechtschreibfehler.
Du wirst mir dieses Essay bis Donnerstag zukommen lassen.
Ich blinzelte und las die Zeilen noch einmal durch, während meine Wangen anfingen zu glühen. Dann klappte ich die Karte zu und legte sie beiseite. Ich hätte sie nicht lesen sollen. Sie war nicht für mich bestimmt.
Ich öffnete sie wieder und überflog noch einmal die Worte in dieser wunderschönen, flüssigen Schrift, die nichts über ihren Eigentümer verriet und etwas in mir zum Vibrieren brachte. Feinstes Papier und beste Tinte. Ich konnte bereits fühlen, wie sich meine Finger um den Füllfederhalter legten, konnte mir die Worte vorstellen, die aus der Feder fließen würden, wenn ich meine geheimsten Gedanken zu Papier brachte. Ich wusste sogar schon, welches Papier ich benutzen würde. Cremiges Weiß, unliniert, mit
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