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Anruf aus Nizza

Anruf aus Nizza

Titel: Anruf aus Nizza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Mittagessen war in einer eigenartig eingefrorenen Stimmung verlaufen. Die vergnügten Kinder am Tisch, die von der Katastrophe noch keine Ahnung hatten, die alte Dame, die Irene unauffällig aber desto gründlicher beobachtete, Robert, der plötzlich aus irgendeinem unerfindlichen Grund ein nicht ganz gutes Gefühl hatte, und schließlich Irene selber, die es meisterhaft verstand, wie ein Chamäleon in drei Farben zu schillern.
    Als Robert herunter kam, fand er seine Mutter in der Bibliothek, im großen Ohrenbackenstuhl am offenen Fenster.
    Robert schenkte zwei Kognaks ein, reichte seiner Mutter den kleinen Silberbecher mit dem Berckheimschen Wappen, und beide schwiegen.
    Endlich sagte Frau Berckheim: »Ich weiß nicht, ob sie die Richtige ist, Robert.«
    Er schaute zum Fenster hinaus, sah die Kinder unter der Linde sitzen und antwortete: »Warum nicht?«
    »Sie ist mir zu hübsch, Robert.«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Ich kann sie nicht häßlicher machen, Mama.«
    »Ich weiß nicht, ob ich mich an sie gewöhnen kann.«
    Robert schaute sie an, lange und unverwandt, bis sie vor seinem Blick die Augen senkte.
    »Das hast du schon einmal gesagt, Mama. Vor vielen Jahren. Es hat mich damals sehr hart getroffen.«
    Sie schaute ihn erschrocken an.
    »O Gott, so habe ich es nicht gemeint, jetzt nicht, eben nicht. Aber damals... Robert, war denn deine Ehe wirklich glücklich? Einmal werden wir doch auch darüber sprechen können, oder nicht?«
    Er wandte sich ab.
    »Noch nicht, Mama. Vielleicht war nicht immer alles so, wie es hätte sein können. Aber das war auch unsere Schuld. Wir haben es Monika nicht leicht gemacht, du nicht und ich nicht. Ich würde viel darum geben, es noch mal erleben zu können, diesmal anders, besser.«
    Die alte Dame winkte zum Fenster hinaus den Kindern zu. Dominique kam ans Fenster.
    »Dürfen wir nachher mit Irene zum See hinunter? Ihr das Bootshaus zeigen?«
    »Ja, später«, sagte Robert, wandte sich an seine Mutter und fuhr fort: »Ich habe bei Therese einen Mokka für uns bestellt. Fräulein Keltens wird gleich herunterkommen. Und anschließend fahre ich in die Stadt. Ich werde mich doch wohler in der Klinik fühlen, wenn ich weiß, daß du die Kinder nicht mehr allein am Halse hast.«
    Es klopfte leise. Robert ging zur Tür und öffnete sie.
    »Kommen Sie ruhig herein, Fräulein Keltens.«
    Irene trug ein betont einfaches, kornblumenblaues Kleid, das ihre blauen Augen noch tiefer machte. Sie trat ans Fenster, schaute kurz hinaus und sagte:
    »Es ist hier wie in einem Traum. Fast habe ich Angst, aufzuwachen. Mein Zimmer ist wundervoll, und dieser Ausblick... ist das da hinten rechts die Zugspitze?«
    »Ja«, sagte Robert. »Wenn Föhn ist, sieht man sie noch klarer. Spüren Sie den Föhn?«
    Sie lächelte hilflos.
    »Ich... ich weiß nicht, ich habe noch nie darauf geachtet.« Sie fand, daß sie nun auch irgendwie mit Roberts Mutter ins Gespräch kommen mußte, aber sie fand keinen passenden Anfang.
    Ihre Augen wanderten durch die Bibliothek und blieben an dem Bild von Monika hängen. Einen Augenblick schien es ihr, als komme ihr das Gesicht dieser Frau bekannt vor, aber dann vergaß sie es.
    Robert hatte ihren Blick bemerkt. Er trat neben sie.
    »Das ist meine Frau«, sagte er leise.
    Irene nickte nur, dann war ihr der rettende Gedanke gekommen. Sie wandte sich an Frau Berckheim.
    »Verzeihung, gnädige Frau, würden Sie mir sehr böse sein, wenn ich mal ein Weilchen verschwinde? Ich möchte gern mit den Kindern zum See hinunter, ich glaube, das wäre für uns alle im Augenblick das beste.«
    Roberts Mutter spürte die Gewandtheit dieses Mädchens, und war im stillen befriedigt. Sie liebte gewandte Frauen, die sich in jeder Situation zurechtfanden, die den Kopf nicht verloren und nicht zu sentimental wurden. Irene hatte den ersten Stein bei ihr im Brett.
    Huldvoll nickte die alte Dame.
    »Gehen Sie, Fräulein... Keltens? Ist das richtig?«
    »Ja, gnädige Frau. Aber wenn ich gleich eine Bitte äußern dürfte? Fräulein Keltens klingt so unpersönlich, ich fühle mich dann immer so als Fremde, und Sie, gnädige Frau, würden mich vielleicht auch jedesmal als Fremdkörper empfinden. Würden Sie bitte einfach Irene zu mir sagen?«
    »Gern, Irene. Und nun nützen Sie die Sonne noch aus, am Strand ist es jetzt sehr schön. Später dann... was ist denn da los...?«
    Die Tür wurde aufgerissen. Therese erschien mit allen Anzeichen großer Verwirrung.
    »Herr Doktor, gleich ans Telefon!«

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