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Anruf aus Nizza

Anruf aus Nizza

Titel: Anruf aus Nizza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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rauchend aufs Fensterbrett und schaute auf die Straße hinunter.
    Bis jetzt hatte alles geklappt. Dr. Berckheim war prompt auf sie hereingefallen, er bemühte sich um sie, und sie mußte sich Mühe geben, ernst zu bleiben, wenn er kluge und wohlgemeinte Ratschläge erteilte.
    Plötzlich kam ihr eine neue Idee. Rasch packte sie ihre Koffer wieder aus, wenigstens zum Teil, dann wusch sie sich Rouge und Lippenstift ab und gab ihrem Haar einen bürgerlich soliden Schwung. So wartete sie auf den Arzt.
    Er kam eine Viertelstunde zu spät, entschuldigte sich wortreich — »Sie wissen ja, ein Arzt kann nicht immer so, wie er will« — und dann fragte er: »Alles gepackt? Können wir gleich fahren?«
    Irene schlug die Augen nieder.
    »N-nein«, sagte sie zögernd. Dann, wie in einem plötzlichen Entschluß, deutete sie auf einen ihrer Sessel. »Bitte, Herr Doktor, setzen Sie sich einen Augenblick. Ich muß mit Ihnen sprechen.«
    Robert setzte sich, wobei er auf die Uhr schaute. Er hatte sich genau ausgerechnet, wann er draußen in Ried sein würde, gerade recht zum gemeinsamen Mittagessen; ein Mittagessen am großen Tisch brachte doch immer die Menschen einander näher.
    »Hören Sie«, begann Irene stockend. »Es ist furchtbar schwer für mich, die richtigen Worte zu finden. Sie haben mich so hochherzig aufgefordert, sozusagen die nächsten Monate draußen auf Ihrem Besitz zu verbringen, und ich bin so glücklich darüber, und...«
    »Also, was quält Sie dann sonst noch?« unterbracher sie.
    Irene biß sich auf die Unterlippe, zögerte und sagte endlich: »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich... es ist nämlich nur...«, als habe sie sich entschlossen, jetzt frei von der Leber weg zu reden, fuhr sie sachlich fort: »Ich möchte einfach nicht, daß Sie meinetwegen in irgendwelche Ungelegenheiten kommen.«
    »Ich? Ungelegenheiten? Aber wieso denn?«
    Irene lächelte. »Wissen Sie, Herr Doktor, wenn ich irgendeine häßliche Person wäre, alt oder sonstwie ungefährlich, würde ich mir keine Gedanken machen. Aber so... Glauben Sie nicht, Herr Doktor, daß man es Ihnen falsch auslegen könnte, wenn Sie mich schon so kurz nach dem Tode Ihrer Frau...«
    Hart unterbrach er sie. »Kein Mensch wird einen solchen Unsinn denken. Packen Sie endlich Ihre Koffer, damit es nicht noch später wird.«
    Sie gehorchte sofort. Im stillen amüsierte sie sich über seine Empörung, genau damit hatte sie gerechnet. Männer sind immer über irgendwas zuerst empört, aber dann fangen sie an, darüber nachzudenken. Und gerade das hatte Irene gewollt.
    Während sie hastig ihre Sachen in einige Koffer stopfte, sagte sie mit ganz kleiner Stimme: »Bitte, Herr Doktor, seien Sie mir nicht böse, ich hab’s doch wirklich nur gut gemeint. Ich bin so froh, daß ich nach Ried hinaus darf.«
    »Schon gut«, murmelte er. Und es klang keineswegs mehr ärgerlich.

    *

    Dominique keuchte vor Anstrengung. Noch ein paar Äste, dann hatte sie es geschafft. Irgendwo blieb sie mit ihrem Kleidchen hängen, es gab einen langen Riß, aber dann hatte sie den Ast erreicht, von dem aus sie in eins der Gästezimmer schauen konnte. Martin stand am Fuß der Linde und hüpfte ungeduldig von einem Bein aufs andere.
    »Siehst du noch nichts?« rief er hinauf
    Dominique legte ihre kleinen Hände um den Mund.
    »Doch!« rief sie halblaut. »Brüll nicht so laut, sonst erwischen sie uns.« Und dann blickte sie abwechselnd in Irenes Zimmer und hinunter zu ihrem kleinen Bruder, dem sie einen getreulichen Bericht über die Ereignisse gab, die sich im Gästezimmer abspielten.
    »Eben sind sie reingekommen. Vati hat selber zwei Koffer geschleppt. Jetzt zeigt er ihr das ganze Zimmer, jetzt macht er den großen Einbauschrank auf, in dem wir mal unsere Kaninchen versteckt hatten, weißt du? Und jetzt...«, sie schwieg und drückte sich dicht an den Stamm.
    »Was’n jetzt?« schrie Martin hinauf.
    »Psssst!« zischte Dominique. Dann flüsterte sie hinunter: »Sie hat das Fenster aufgemacht, jetzt schaut sie hinaus, Vati steht hinter ihr, jetzt dreht sie sich um, und jetzt... jetzt... ich glaub, sie weint... Warum weint sie denn? Ja, sie wischt sich die Augen ab, und Vati redet mit ihr. Jetzt geht er weg, ich glaube, sie ist jetzt allein, ich komm runter.«
    Geschickt und blitzschnell kletterte sie hinunter. Dann setzten sich die beiden auf die runde Bank, die sich rings um die Linde schmiegte, und warteten der Dinge, die nun kommen würden.
    Das tatsächlich verspätete

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