Antarktis 2020
oder besser, seine Zustimmung, Aïfe mit mir gehen zu lassen – sie hätte es getan…« Renés Worte klangen auf einmal, als ob er träumte, dann fuhr er mit brüchiger Stimme fort: »Schließlich warf er mich hinaus. Ich ging, weil er seine Worte unmißverständlich mit einem Gewehr unterstrich. Und er hätte geschossen…
Aber diesmal wollte ich es wissen. Es gelang mir, mit Aïfe erneut Verbindung aufzunehmen, sie hatte große Angst…
Und dann sind sie über mich hergefallen, das war gestern, so gegen Mitternacht. Nur Verschleierte waren es, so fünf oder sechs. Sie haben noch auf mich eingetrampelt, als ich längst am Boden lag. Die letzten Kilometer – ich weiß nicht, wie ich die zurückgelegt habe.«
»Verbrecher«, fluchte Deland.
René schüttelte den Kopf. »Es ist was los drüben«, sagte er. »Aïfe berichtete mir, daß es Streit gibt im Dorf, daß oft Versammlungen sind. Sie werden sich gegen den König entscheiden und auf unsere Vorschläge eingehen, das scheint sicher. Und die adligen Tuareg sehen in mir, in jedem von uns einen, der ihre Privilegien antastet, deshalb sind sie so. Ich kann froh sein, daß ich noch lebe. Ihre Väter hätten nicht so lange gefackelt.«
»Hält man das für möglich«, rief Deland aus. »Er nimmt diese Kerle noch in Schutz. Kommt halb tot hier an und bedauert fast, daß es nur halb ist…«
»Bist du sicher, daß es so wird, wie Aïfe sagt?« fragte Pjotr, »oder war es bloß ihre Vermutung? Du weißt ja, daß diese Sache für uns von großer Bedeutung ist.«
René warf einen eigentümlichen Blick auf Pjotr, so als wollte er ausdrücken, was für ihn jetzt von Bedeutung sei. Dann sagte er langsam: »Natürlich weiß ich nichts Genaues. Aber sie haben ein Bauernkomitee gegründet, Aïfes Mutter bestätigte es mir übrigens auch. Es hat einen offenen Aufruhr gegeben, und ein großer Teil der Bauern weigert sich, die Felder des Königs und der Adligen weiter zu bearbeiten. Die acht Tuaregfamilien sind nicht in der Lage, weiter ihre Macht auszuüben, Früher hätten sie es vielleicht trotzdem versucht. Mit dem Schwert. Aber sie haben ja auch mich leben lassen, denn sie wissen, daß auch sie den Gesetzen des Staates unterworfen sind, daß sie nirgendwo mehr sicher sind, wenn sie morden.«
»Und was wird aus Aïfe, aus euch?« fragte Thomas leise.
René sagte eine Weile nichts, auch die anderen schwiegen. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, an Wunder glaube ich nicht.«
»Warum haut sie nicht ab, einfach verschwinden und fertig«, rief Deland leidenschaftlich. »Ich denke, sie liebt dich.«
René sah ihn an. »Das wollten wir gestern, obwohl es ihr immer noch schwerfällt; sie will den Gehorsam nicht verletzen, den sie ihren Eltern schuldig zu sein glaubt. Jetzt, kannst du dir denken, wird sie bewacht.« René lehnte sich zurück. »Ich werd mich damit abfinden müssen«, sagte er resignierend. »Geht jetzt schlafen. Ihr habt schon zu viel Zeit mit mir vertrödelt«, fügte er hinzu, und es sollte lustig klingen.
Und wieder forderte die Arbeit vollsten Einsatz. Durch die Aussagen Renés fühlte sich die Direktion des Objekts Erg In Asaken veranlaßt, die aufgeschobenen Arbeiten weiterzuführen.
Für Thomas und seinen Trupp bedeutete das, die Kanaltrassierung fortzusetzen, vom Einsatzort des »Wurms« aus bis zum Wadi. Dann sollte der Kanal durch die ehemalige Ortslage Achourat führen und nach sechzig Kilometern in Richtung Osten an den Ausläufern des Hochlandes Vallée du Tilemsi das Wadi wieder verlassen und nach Süden abbiegen. Dort warteten schwierige vermessungstechnische Aufgaben. Verschiedene Zuflüsse aus dem Hochland, die während der Regenzeit Wasser führten, mußten dem Kanal zugeleitet werden. Es waren Pumpstationen, Großfilter und ähnliches abzustecken. Verschiedene Meßtrupps von GEOMESS arbeiteten dort seit geraumer Zeit. Thomas sollte, wenn er seine Arbeiten im Zusammenhang mit dem »Wurm« beendet und das Wadi in die Kanaltrasse eingebunden hatte, zu ihnen stoßen.
Die Entscheidung der Leitung, das Wadi bereits jetzt, auf die nicht bestätigte Information Renés hin, anzuschließen, empfand Thomas als voreilig und der Bedeutung des Objekts keineswegs angemessen. Sie zeugte aber erneut von der recht ausweglosen Situation. Die Aussagen Renés bildeten offenbar den Strohhalm, an den sich einige Mitarbeiter klammerten.
Thomas ging auch deshalb mit gemischten Gefühlen an die Aufgabe, weil sie dann zu dritt für einige Tage
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