Antarktis 2020
daß sich jeder davon nehmen konnte.
Thomas aß sein Teil, machte sein Bett und nahm sich pro forma Aufzeichnungen vor, damit Deland ihn beschäftigt fand, wenn er hereinkam.
Aber Deland kam nicht.
Nachdem Thomas etwa zwanzig Minuten so gesessen hatte, rechnete er nach, wann Deland gegangen war. Das Resultat: Vor fünfundvierzig Minuten. Selbst während des Orkans hatten sie immer nur dreißig Minuten gebraucht, um die Instrumente abzulesen.
Er wird sich Zeit lassen, überlegen. Schließlich weiß er nicht, wie ich ihn empfange – nach diesem Geständnis.
Thomas zwang sich zur Ruhe. Der Orkan ist vorbei, also kann nichts passieren. Und wenn er…?
Quatsch, so etwas gab es doch nicht. Trotzdem ließ ihn der Gedanke, daß sich Deland etwas angetan haben könnte, nicht gleich los, so absurd er ihm erschien. Deland war verzweifelt…
Thomas kontrollierte Delands Ausrüstung. Die Kombi hatte er mit. Notbagage, Knall- und Leuchtpistole, eiserne Ration, Handfunkgerät, Verbandszeug lagen unordentlich in seiner Kiste. Aber das war nicht ungewöhnlich. Selbst während des Orkans hatten sie das Zeug nicht mitgeschleppt bis zur Wetterstation.
Schließlich, nach weiteren zehn Minuten, wurde Thomas klar, daß er etwas unternehmen, das er raus mußte; denn mit dieser spärlichen Ausrüstung würde Deland nicht lange durchhalten.
Er zog sich langsam an, immer gewärtig, daß Deland kam und er sich lächerlich machte.
Die Luke war ordnungsgemäß geschlossen. Thomas kroch nach draußen. Dort blieb er erschrocken stehen. Was war das? Nebel nicht, wenigstens nicht nur. Es herrschte milchige Helligkeit, aber er konnte kaum seine schneebestäubten Schuhe sehen. Von der Wetterstation keine Spur, keine Spuren von Deland.
Es muß wärmer geworden sein, dachte er und riß Brille und Maske ab. Keine zwanzig Grad, schätzte er. Aber auch jetzt sah er nicht besser.
Thomas begann zu ahnen, was los war: Weiße Finsternis und Nebel. Er hatte davon gelesen, auch von ihrer Gefährlichkeit. Einen, der sie schon kannte, hatte er in TITANGORA nicht getroffen.
Trotz der Eisluft im Gesicht wurde es ihm heiß. Wo war Deland? Er machte einige Schritte in die Richtung, in der er die Station vermutete. Dann hielt er inne. Er dachte daran, wie schnell man in einer solchen Situation die Orientierung verlieren konnte. Er überlegte fieberhaft. Dann rief er laut Delands Namen. Es klang dünn, zu dünn, um weit zu reichen. Er hastete nach drinnen, holte seine Knallpistole und schoß das Magazin leer. Einmal war ihm, als höre er einen Ruf. Da es sich nicht wiederholte, mußte er annehmen, daß er sich getäuscht hatte.
Selbst wenn Deland meine Schüsse gehört haben sollte, mußte er doch bald die Orientierung wieder verlieren, wenn ich mich nicht mehr melde. Aber ich kann doch nicht immerzu schießen. Trotzdem!
Thomas holte sein und Delands Ersatzmagazin, Delands Knallpistole und die Leuchtpistolen, alles, womit er einen Knall erzeugen konnte – insgesamt noch sechsundzwanzigmal. Er rechnete: In fünf Minuten sollte man bei diesen Verhältnissen dreihundert Meter zurücklegen können. Das war viel. Er beschloß, alle drei Minuten einen Schuß abzugeben. Macht Sechsundsechzig Minuten. In der Zeit müßte Deland hier sein, wenn er mich hört. Wenn…
Vielleicht ist er in der Wetterstation? Dort müßte er mich auf alle Fälle schon gehört haben, er könnte rufen.
Thomas wagte nicht, sich vom Iglu weiter als fünf Schritt zu entfernen. Er schoß genau alle drei Minuten. Nach einer Weile fiel ihm ein, daß die Verbindung mit TITANGORA fällig war. Er zwängte sich in den Iglu, der Dauerruf stand schon auf dem Gerät. Aha, schon unruhig, dachte er und gab kurz einen Bericht über die Lage.
Es herrschte eine Weile Schweigen, dann erfuhr er, daß auch die Station von Nebel und der Weißen Finsternis umgeben sei, daß er also unter diesen Umständen mit keiner aktiven Suchhilfe rechnen könne.
Er erhielt die Weisung, als einzig Mögliches mit seiner Schießerei fortzufahren, sich aber vom Iglu unter keinen Umständen zu entfernen. Er sollte sich sofort wieder melden, wenn er das Schießen aus Munitionsmangel eingestellt hatte.
In den Pausen zwischen den Schüssen überlegte Thomas. Warum ist er überhaupt losgegangen? Kennt er das Phänomen nicht? Das war möglich, waren doch Außenarbeiten etwas Seltenes.
Das Seil! Warum habe ich daran nicht eher gedacht. Thomas tastete danach und hangelte stolpernd in Richtung Wetterstation. Plötzlich
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