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Antarktis 2020

Antarktis 2020

Titel: Antarktis 2020 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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asphaltierten Platz bewegt hätte.
    Obwohl Thomas Schneestapfschuhe trug, war es eine zermürbende Stolperei. Über das flache Gelände zogen sich, wie ein erstarrter Ozean, wellenartige Schneewehen von etwa vierzig Zentimeter Höhe und einem Abstand von ein bis zwei Metern. Also kein Hindernis, wenn man sie rechtzeitig gesehen hätte. Das war jedoch nicht der Fall. Schlimmer konnte das Laufen bei Stockfinsternis über ein unbekanntes, stark zerklüftetes Gelände auch nicht sein. Bald rutschte Thomas das Pfahlbündel von der Schulter, bald verlor er die Litzenrolle. Kaum hatte er sich aufgerappelt, war ein paar Schritte gegangen, stolperte er wieder.
    Er ging langsamer, tastend und überschlug sein Marschtempo. Er kam zu dem niederschmetternden Schluß, daß er für einen der Kreise von etwa fünf Kilometern zwei Stunden benötigen würde. Ihn überfiel plötzlich Mutlosigkeit.
    Er zauderte, blieb stehen. Schließlich war es nicht nur die Gefahr, in der sich das Leben des Menschen Deland befand, die ihn weitergehen ließ, sondern auch der Gedanke, daß Deland annehmen könnte, er wolle sich rächen, ihn einfach umkommen lassen…
    Thomas hätte nicht zu sagen gewußt, was ihn noch so lange aufrecht hielt. Er fand Deland zu einem Zeitpunkt, als er meinte, daß er. jeden Augenblick zusammenbrechen und die Besinnung verlieren würde. Er hing an seiner Schnur wie im Sitz eines Kettenkarussells, ließ sich ziehen und stapfte stur in seinem Kreis, dem vierten.
    Er hätte jeden für verrückt gehalten, der ihm gesagt hätte, daß er einmal bei derartigen Verhältnissen zwanzig Kilometer laufen würde. Laufen! Es war kein Laufen, es war ein Stolpern, ein Hinfallen und Wiederaufstehen.
    Als er den vierten Kreis begann, hatte er alle Pfähle zurückgelassen. Er schwor, es sei der letzte. Immer wieder hämmerte es in ihm: Setz dich doch hin, Richard muß da sein, er holt dich. Die zwei Stunden wirst du überstehen, sie finden die Litze und holen dich. Er fühlte einfach nicht mehr die Kraft in sich, die anderthalb Kilometer zur Station zurückzustolpern, ohne den helfenden Halt der Schnur, der ihn immer im Kreise trieb.
    Er achtete eigentlich gar nicht auf seine Umgebung. Ganz mechanisch stieß er ab und zu einen Ruf aus, von dem er den Eindruck hatte, daß er nicht weiter zu hören war, als er sehen konnte. Und sehen konnte er so gut wie nichts. Ihn umgab die fürchterliche, zermürbende, unendliche Weiße Finsternis.
    Wieder einmal überwand er seine Schwäche, quälte sich weiter, da wuchs ein Schatten auf ihn zu aus einer Richtung, in der er nie etwas vermutet hätte: Rechts oben schälte sich ein riesiger dunkler Fleck aus dem Weiß. Blitzschnell wurde Thomas bewußt, daß er bei seinem Lauf stets nur auf den Boden gestiert hatte.



Dieses Wachsen des dunklen Etwas gab ihm Kraft. Er löste die Litzenrolle, hatte noch so viel Geistesgegenwart, zur Orientierung seinen Tornister abzuwerfen, und stürzte auf das Dunkle zu, stolperte, fiel, kroch, lief.
    Es war Deland. Er lag im Schnee wie ein Schläfer, wie ein von der Müdigkeit Übermannter, der sitzend zur Seite gesunken war.
    Thomas schrie ihn an, er reagierte nicht; er packte ihn, schüttelte ihn. Sein Gesicht war wächsern, die Maske hatte er nicht auf. Thomas gab ihm Ohrfeigen, und da hoben sich einen Augenblick seine Lider. Er lebte. Thomas schrie es: »Er lebt!«
    Dann drehte sich Thomas um, brauchte Sekunden, um den dunklen Tornister im Weiß auszumachen, stürzte zurück, riß ihn auf und fingerte nach der Flasche, rannte stolpernd zu Deland zurück und flößte ihm von der scharfen Flüssigkeit ein, dann sprühte er ihm Schutzspray ins Gesicht.
    Thomas wußte, da noch ein Funken Leben in Deland war, würde er auf jeden Fall die nächsten zwei Stunden ohne Schaden auch noch überstehen. Thomas lachte.
    Und dann stürzte seine ganze Erschöpfung auf ihn ein. Resignierend setzte er sich neben Deland. Er war sich völlig im klaren, daß es ihm unmöglich war, Deland ohne Hilfe zum Iglu zu transportieren. Hilflos starrte er in das Weiß. Richard würde noch eine gute Stunde brauchen, um den Iglu zu erreichen. Erst dann konnte er Rettung erwarten.
    Müde schleppte er sich abermals zum Tornister, nahm ihn hoch und rollte die Litze bis zu Deland auf. Und dann handelte er beinahe schlafwandlerisch. Er zog Deland die Kapuze über den Kopf und stülpte ihm seine Atemmaske auf das Gesicht. Er schob ihm den Tornister unter den Nacken, verkürzte die Tragegurte so, daß sie

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