Antarktis 2020
ein gutes Wort einlegte.
Immerhin war es anständig von Deland, noch gestern Lewrow über den wahren Sachverhalt mit dem zu engen Kurvenradius aufzuklären.
»Trotzdem, Kollege Monig, wäre es deine Pflicht gewesen« – sogar gelächelt hat sein Bartgestrüpp, als Lewrow das väterlich zu mir sagte –, »eher zu kontrollieren. Na, Schwamm darüber.«
Thomas durchlebte einen Augenblick lang wieder Szenen seiner Suche im Eis. Ihm schien, als läge das Jahre zurück. Nur das eigenartige Gefühl, Glück oder Triumph – wie unlängst, als ihn Richard wie einen Mehlsack auf den Schultern trug –, war noch ganz gegenwärtig. Er hatte den Drang, sich jemandem mitzuteilen.
Er schlängelte sich unauffällig neben den Interparteisekretär. Aber auf allen Gesichtern lag die Spannung kommender Ereignisse. Der Sekretär lächelte ihm höflich-zerstreut zu und folgte den letzten Vorbereitungen zur Inbetriebnahme des »Wurms«. Thomas empfand, wie unpassend es wäre, jetzt jemanden in ein Gespräch zu verwickeln.
Der Chef von TITANGORA, Wolfgang Michailowitsch Pajew, stieg auf ein Zeichen des leitenden Ingenieurs, gestützt auf einen seiner Begleiter und dennoch rutschend, auf einen vorbereiteten Eisblock. Das Gemurmel verstummte. Zum Überfluß hob er noch die Hand, sprach dann aber – ohne Konzept und Pathos – mit schlichten Worten den Erbauern des Stollens und den anderen am Objekt Beteiligten Dank und Anerkennung aus.
Thomas wartete vergeblich auf die Nennung auch seines Namens, tröstete sich dann jedoch mit der Gewißheit, einer der kühnen Pioniere zu sein, von denen Pajew sprach.
Dann drückte Pajew auf den Knopf einer Funksteuerung, worauf mit leisem Surren im »Wurm«, hinter den großen runden Öffnungen, Propeller zu rotieren begannen.
Pajew erhob seine Stimme, obwohl das leise Surren keineswegs störte.
Thomas war nicht ganz bei der Sache. Er hing nach wie vor seinen Gedanken nach und empfand die Feierlichkeit des Augenblicks weniger. Erst als Pajew noch lauter sprach und der nach Thomas’ Meinung sehr antiquierten Tradition huldigte und eine Flasche Schaumwein an der stumpf glänzenden Metallwand des »Wurms« zerschellen ließ, wurde er aufmerksamer.
Pajew wünschte dem metallenen Ungetüm, das jetzt wie die harmlose Verkleidung der Ortsbrust des Stollens wirkte, allzeit gute Fahrt und legte am Fernbedienungspult einen Hebel um. Ein Vibrieren ging durch den Koloß. Die Menschen applaudierten, es klang dünn, ohne Widerhall, und der »Wurm« setzte sich zitternd, fast unmerklich, in Bewegung. Irgendwo vorn im Gestein klang, gedämpft durch die Eigenmasse der Maschine, ein Grollen auf, mißlich übertönt von gelegentlichem Quietschen, als kratze jemand mit einer riesigen Gabel Bratkartoffelreste aus einer überdimensionalen Pfanne.
Kurze Zeit später war das große Ereignis vorbei. Man nahm in dem bereitstehenden Mannschaftswagen Platz und schickte sich an auszufahren.
Thomas saß eingeengt zwischen Pjotr und einem aus dessen Mannschaft auf einer Sitzbank. Pjotr, der als Assistent des leitenden Ingenieurs am Stapellauf teilnahm, sagte: »Alles Quatsch. Richtig fährt er erst, wenn der Stollen geflutet ist. Dauert noch mindestens zwei Wochen. Nur, dann hätten wir Taucheranzüge nehmen müssen…«
»Kannst du dir vorstellen, was das für ein Gefühl für mich war«, fragte Thomas, »als sich Lewrow gleichsam bei mir entschuldigte?«
Als ihn Nina einigermaßen verständnislos ansah, fügte er hinzu: »Na ja, so gut wie!«
»Wenn das so stimmte, wie du es auffaßt…«, Nina sah, als sie sprach, nicht auf, sie rührte in ihrem Teeglas und blickte auf die Tischplatte, »dann würde ich an deiner Stelle einpacken. Mir scheint eher, es prägt sich bei dir so ein leichter Verfolgungswahn aus.«
»Quatsch«, sagte er schroff und fuhr dann in dem Gedanken fort: »Fachlich können sie mir nun überhaupt keinen Vorwurf mehr machen, und die Sache mit Deland dürfte mir einige Pluspunkte eingebracht haben.«
»Wie du das siehst«, sagte Nina kopfschüttelnd. »Außerdem hast du gerade behauptet, Lewrow habe dich darauf aufmerksam gemacht, daß dir eine Kontrolle möglich gewesen wäre. Wie ich ihn kenne, steht das auch in seinem Bericht an die Kombinatsleitung.«
»Ach!« Thomas winkte ärgerlich ab. »Lassen wir das!« Ihm tat es leid um den schönen Abend. Er hatte sich gefreut, endlich mit einem Menschen, der ihn einigermaßen verstand – und für so einen hielt er Nina noch immer – allein zu
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