Antarktis 2020
der im Eis verschwand. Es fiel ihm sein eigenes Eisabenteuer ein, seine Gedanken von damals, und ohne daß er es sich eingestand, schämte er sich ihrer im Angesicht der Toten. Diese Forscher hatten unter wesentlich schlechteren Bedingungen gewirkt, hatten ihr Leben eingesetzt für neue Erkenntnisse…
In der Nähe des Denkmals an einem kleinen See tummelten sich junge Leute. Sie verbrachten ihre Mittagszeit auf den zahlreichen Bänken, fuhren in Kähnen auf dem See herum oder fütterten die Schwäne.
Eine Fluoreszenzanzeige an einem langgestreckten Gebäude gab pausenlos in leuchtenden, buntschillernden Farben bekannt, welche kulturellen Ereignisse für den Tag auf dem Programm standen. Thomas erschien dieser Aufwand hoch, allerdings lebten in Mirny ständig nahezu fünftausend Menschen, von den zahlreichen Expeditionsteilnehmern und Gästen, die sich zu Studien hier aufhielten, ganz zu schweigen.
Ein Wegweiser mit einem Roten Kreuz zeigte Thomas die Richtung, die er einzuschlagen hatte. Er traf jetzt weniger Menschen, anscheinend war die Mittagspause zu Ende.
Mirny, das wußte Thomas, war in der Versorgung vollautomatisiert. Sie erfolgte im wesentlichen aus unterirdischen Lagern. Eine teure, aber sehr bequeme, zeitsparende Methode.
Nur wenige der hier tätigen Menschen arbeiteten außerhalb der Kuppel, das Personal des Kernreaktors und des Flugplatzes, später würde noch das des U-Hafens dazukommen.
Auf einem mit Philodendron überwucherten Hang erblickte er langgestreckte großflächige Gebäude. Thomas war am Klinikum.
In einer nach modernsten Gesichtspunkten ausgestatteten Zentrale hatte man sehr schnell herausgefunden, wo Evelyn Kavor arbeitete.
Eine Anfrage ergab, daß sie nicht im Hause war, sondern in ihrer Unterkunft aktiver Erholung nachging. Sie wurde erst zur Abendschicht wieder erwartet.
Thomas ließ sich die Adresse geben und den Weg beschreiben. Er fing bereits an zu bedauern, daß es in Mirny keine Fahrmöglichkeiten gab. Auf einem Plan überzeugte er sich, daß die Unterkunft sich etwa am anderen Ende der Kuppel, also in fast drei Kilometer Entfernung, befand.
Als er der jungen Frau gegenüber, die ihm in der Zentrale die Auskunft gab, eine entsprechende Bemerkung machte, lachte sie kurz auf und sagte: »Man sollte meinen, daß beim Gesundheitswesen nur solche Leute arbeiten, die auch selbst gesund leben wollen. Manchmal muß man eben ein wenig nachhelfen – und wenn es mit einem Spaziergang ist.«
Auch eine Methode, dachte Thomas und machte sich auf den Weg. Er fand unschwer das Haus.
Da sich auf sein Klopfen – Klingeln gab es nicht – niemand meldete, folgte er einem Pfad, der hinter das Gebäude führte. Nach einer Gebüschgruppe kam ein Weiher und davor, auf einer Art Moosbank, lagen zwei junge Frauen, Evelyn und eine blonde Hagere. Sie waren unbekleidet, lasen und ließen sich von einem Ultrastrahler bescheinen.
Thomas war stehengeblieben. Da hatte ihn Evelyn bereits entdeckt. Sie sprang überrascht auf, kam auf ihn zu, nahm ihn am Arm und sagte: »Tom! Das ist eine Überraschung! Grüß dich!«
Er ging mit zu der Moosbank, die aus einer Art synthetischem Plüsch bestand, begrüßte Evelyns Freundin Katja und nahm auf Einladung mit Platz.
»Das trifft sich gut«, sagte Evelyn, »ich habe bis zum Abend frei, wir bummeln ein bißchen, ja?«
Die beiden Frauen zogen sich rasch an, und obwohl Thomas froh war, sich nach den etlichen Kilometern Marsch, die er in Mirny bereits hinter sich hatte, ein wenig rekeln zu können, sagte er gleich zu.
Es wäre Thomas zwar lieber gewesen, wenn sich Katja, die ihm ein wenig rechthaberisch vorkam, verabschiedet hätte. Aber dann fand er sich mit ihrer Anwesenheit ab.
Es wurde dann ein wunderschöner Nachmittag, den sie in heiterer Ausgelassenheit, teils auf den Promenaden und in den Parks, teils in Restaurants verbrachten.
Sie zeigten ihm Mirny, und sein erster Eindruck bestätigte sich: Eine mit größter Umsicht nach modernsten soziologischen und psychologischen Erkenntnissen erbaute Siedlung, die beinahe von jedem Punkt aus einen neuen Ausblick, eine Überraschung bot und die selbst, und das bestätigten seine Begleiterinnen, Leuten, die sich schon länger hier aufhielten, keineswegs zur Alltäglichkeit wurde, sofern sie Natur- und Landschaftsschönheiten aufgeschlossen gegenüberstanden.
Thomas fiel während des Spazierganges auf, daß es auch viele Tiere in Mirny gab, solche, die in die beinahe tropische Landschaft paßten. Er sah
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