Antarktis 2020
verschiedene Kolibris, an einem Weiher standen Flamingos. Er schätzte auch – als Techniker stets dazu angehalten – den ungeheuren Aufwand ein, den der Bau dieser Stadt erforderte, diese Transporte, diese Mühen, die unschätzbaren Leistungen der Bauleute, und er begann zu ahnen, was Pjotr ausdrücken wollte, als er von den Möglichkeiten der heutigen Menschheit sprach.
Thomas dachte aber auch an die Menschen, die für die Unterhaltung des Lebens dieser Stadt täglich tätig waren, eine verantwortungsvolle Arbeit leisteten.
Mirny hatte sich zum Stützpunkt der gesamten Antarktisforschung im Gebiet Wilkes Land – Dronning Maud Land herausgebildet. Sämtliche Expeditionen in das Innere des Kontinents, wenn sie nicht sofort vom Flughafen Mirny auf einer der zahlreichen Luftlinien den Ausgang nahmen, machten hier Zwischenstation, um sich durch kurze Tagesausflüge zu akklimatisieren. So hatte sich eine Zentrale in dieser Hälfte Antarktikas entwickelt, und Mirny fand auf dem Kontinent noch kein Beispiel.
Am Abend war Thomas rechtschaffen müde, durch den Aufenthalt in dem ungewohnten Klima und durch das viele Laufen. Er brachte Evelyn und Katja zum Sanatorium, verabredete sich für den nächsten Tag und ging in sein Hotel. Er unternahm nichts mehr, sondern legte sich schlafen.
Am anderen Tag holte er Evelyn gegen Mittag von zu Hause ab, nachdem er am Vormittag einige Aufträge der Kollegen von GEOMESS erledigt hatte.
Glücklicherweise hatte Katja an diesem Tag etwas anderes vor, so daß sie sich ihrem Stadtbummel nicht anschloß.
Endlich war Thomas mit Evelyn allein, und endlich konnte er mit ihr von etwas anderem als von Mirny und der Arbeit im Sanatorium sprechen.
Doch dann gingen sie ziemlich schweigsam nebeneinander her. Thomas war ein wenig enttäuscht. Bislang hatte Evelyn sehr viel von sich und ihrer Arbeit gesprochen. Gestern hatten sich die beiden jungen Frauen beinahe unhöflich über ihr Tätigkeitsfeld ausgetauscht, ohne zu berücksichtigen, daß Thomas ein völlig Außenstehender war. Und nun wußte Evelyn nichts mehr zu sagen.
Thomas vermied seinerseits, allzuviel auf Moskau anzuspielen. Irgendwie, so fühlte er, herrschte zwischen ihnen eine kleine Unstimmigkeit.
Endlich erkundigte sich Evelyn nach seiner eigentlichen Tätigkeit, nach seinen Eindrücken, seinem persönlichen Erleben, und sie sah spöttisch hoch, als sie fragte, ob sich sein Eindruck von einem ganz gewöhnlichen Bergwerk und einem ganz gewöhnlichen Praktikum bestätigt habe.
Thomas schien es am besten, freimütig zuzugeben, daß er die Dinge falsch eingeschätzt hatte. Eine solche Überleitung gefiel ihm, war sie doch dazu angetan, seine Erlebnisse noch aufzuwerten.
Er mißbrauchte die Gelegenheit, einen geduldigen Zuhörer gefunden zu haben, redlich, und erzählte Evelyn haarklein sein Abenteuer mit Deland. Einmal fragte sie dazwischen, und sie warf ihm dabei einen bezeichnenden Blick zu: »Wie sind denn die Mädchen in TITANGORA? Sind sie auch so – enttäuschend wie die aus Moskau?«
Thomas wurde verlegen, worüber er sich schon wieder ärgerte, sah von der Bank, auf der sie saßen, einem neugierig ihre Schuhe beschnuppernden Eichhörnchen zu und sagte: »Hast du das nicht vergessen? Ich hatte mich doch entschuldigt.«
»Ja, es ist ja auch gut « , sagte Evelyn lächelnd, »aber es schien mir, daß gerade du begreifen solltest, daß einem eben doch nicht alles zu Füßen liegt und daß es durchaus Menschen gibt, die meisten, die solche Dinge ernst nehmen, auch wenn wir die gutbürgerliche Ehe ad acta gelegt haben. Aber lassen wir das jetzt. Ich denke, wir verstehen uns!« Sie haschte nach seiner Hand und drückte sie kurz.
Er sah sie an und nickte und brachte – er war wirklich nicht in Form – ein fast stimmloses, verlegenes Ja heraus.
Obwohl sie eine Schranke setzte, erzählte er dennoch weiter, vielleicht noch eine Nuance vorteilhafter für sich, um vielleicht auf diese Weise Boden zurückzugewinnen. Er redete sich ein, daß Mirny für ihn noch schöner sein könnte, wenn Evelyn in ihren moralischen Anschauungen etwas weniger zurückhaltender wäre. Zwischen Moskau und Mirny lagen immerhin einige Wochen und etliche tausend Kilometer. »Was wird nun mit Deland?« fragte Evelyn, als Thomas schwieg. »Was soll werden, genau weiß ich es noch nicht, im Augenblick ist er im Sanatorium, und die Kommission ist noch nicht zusammengetreten. Aber wie ich einer Bemerkung Lewrows entnommen habe, wird er wahrscheinlich
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